Moerderische Kuesse
die Hacker in Rodrigos Mannschaft nur wenig schwieriger, das Computersystem der Bank zu knacken. Vor gut einem Monat hatte Dr. Speer eine Million amerikanische Dollar eingezahlt. Dank des günstigen Wechselkurses war er ein sehr glücklicher Mann.
Dollar. Rodrigo war erstaunt. Die Amerikaner hatten für den Mord an seinem Vater bezahlt? Das ergab keinen Sinn. Die Zusammenarbeit mit den Nervis war den Amerikanern viel zu wichtig, als dass sie ihnen ins Geschäft pfuschen würden, dafür hatte Salvatore schon gesorgt. Rodrigo war nicht immer einverstanden mit den Abkommen gewesen, die sein Vater mit den Amerikanern geschlossen hatte, aber sie hatten jahrelang gehalten, ohne dass jemals der Status quo gefährdet gewesen wäre.
Denise – oder wie sie in Wahrheit auch heißen mochte – war zwar seit heute Morgen wie vom Erdboden verschluckt, aber damit hatte er einen neuen Ansatzpunkt, um herauszufinden, wer sie wirklich war und für wen sie arbeitete.
Rodrigo verschwendete niemals unnötig Zeit; noch am selben Abend flog er in seinem Privatjet nach Amsterdam. Dr.
Speers Wohnung ausfindig zu machen war ein Leichtes, und das Schloss an der Tür zu knacken war genauso einfach. Er wartete im Dunkeln, bis Dr. Walter Speer endlich heimkam.
Schon als die Wohnungstür aufging, roch Rodrigo die Alkoholfahne und sah Dr. Speer bei dem Versuch, eine Stehlampe anzuschalten, leicht straucheln.
Einen Sekundenbruchteil später versetzte ihm Rodrigo einen Hieb in den Rücken, rammte ihn gegen die Wand, um ihn zu überrumpeln, und warf ihn dann zu Boden, wo er sich rittlings auf ihn setzte und abwechselnd mit beiden Fäusten das Gesicht des Doktors bearbeitete. Unerwartete, explosive Gewalt lähmt jeden unerfahrenen Gegner, sie verwirrt und erschreckt ihn derart, dass er praktisch hilflos ist. Dr. Speer war nicht nur unerfahren, sondern auch schwer angetrunken. Er schaffte es nicht einmal, die Hände schützend vor sein Gesicht zu heben, was ihm allerdings auch wenig geholfen hätte.
Rodrigo war größer, jünger und schneller, und er wusste genau, was er tat.
Rodrigo zerrte den Doktor halb hoch und schleuderte ihn gegen die Wand, wobei er dafür sorgte, dass der Kopf noch einmal mit Wucht aufprallte. Dann packte er ihn am Kragen und zog ihn vor sein Gesicht. Was er sah, gefiel ihm gut.
Schon jetzt erblühten mächtige rote Flecken auf dem Gesicht des Doktors, und aus Nase und Mund floss Blut. Die Brille war zersplittert und hing schief an einem Ohr. Die Augen sahen ihn absolut verständnislos an.
Abgesehen davon schien Dr. Speer Anfang vierzig zu sein.
Er hatte einen dichten braunen Haarschopf und war eher untersetzt, was seinem Aussehen etwas Bärenhaftes verlieh.
Vor Rodrigos künstlerischer Bearbeitung waren seine Gesichtszüge wahrscheinlich ganz normal gewesen.
»Darf ich mich vorstellen?«, fragte Rodrigo auf Deutsch, wenn auch mit deutlichem Akzent. Er sprach nicht gut Deutsch, aber er konnte sich durchaus verständlich machen. »Ich bin Rodrigo Nervi.« Der Doktor sollte genau wissen, mit wem er es zu tun hatte. Er sah, wie sich die Augen des Doktors panisch weiteten; er war also nicht so betrunken, dass er gar nichts mehr begriffen hätte.
»Vor einem Monat haben Sie eine Million Dollar erhalten.
Von wem und wofür?«
»Ich‐ich … was?«, stammelte Dr. Speer.
»Das Geld. Wer hat es Ihnen gegeben?«
»Eine Frau. Ich weiß nicht, wie sie heißt.«
Rodrigo schüttelte Dr. Speer derart durch, dass sein Kopf auf dem Hals hin und her wackelte und ihm die zerbrochene Brille von der Nase flog. »Ganz sicher?«
»Sie – sie hat mir nicht verraten, wie sie heißt«, keuchte Dr.
Speer.
»Wie sah sie aus?«
»Ah …« Blinzelnd versuchte Dr. Speer, seine Gedanken zu sammeln. »Braunes Haar. Braune Augen, glaube ich. Es war mir egal, wie sie aussieht, verstehen Sie?«
»Alt? Jung?«
Wieder musste Dr. Speer mehrmals blinzeln. »Um die dreißig?«, antwortete er in einer halben Gegenfrage, als würde er seiner Erinnerung nicht recht trauen.
Aha. Er hatte die Million also eindeutig von Denise erhalten.
Natürlich wusste Speer nicht, wer ihr das Geld gegeben hatte –
dieser Spur würde Rodrigo selbst folgen müssen –, trotzdem war damit alles klar. Sobald sie untergetaucht war, hatte Rodrigo instinktiv begriffen, dass sie seinen Vater ermordet hatte, aber trotzdem war es gut, die Gewissheit zu haben, dass er keine Zeit vergeudete, indem er einer falschen Fährte folgte.
»Sie haben ein Gift für sie
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