Moerderische Kuesse
wäre dazu bereit«, sagte der Franzose. »Es ist gefährlich für mich und meine Familie, aber ich glaube, ich kann das Risiko eingehen, wenn Sie mit mir kooperieren.«
»Danke.« Swain meinte das ehrlich. »Wären Sie auch bereit, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Bedrohung ganz auszuschalten?«
Daraufhin blieb es lange still; schließlich hörte Swain: »Wie soll das geschehen?«
»Haben Sie Kontaktleute, denen Sie voll und ganz vertrauen?«
»Aber natürlich.«
»Jemand, der sich über die Spezifikationen eines Sicherheitssystems
in
einem
ganz
bestimmten
Gebäudekomplex schlau machen könnte?«
»Spezifi…?«
»Eine Blaupause. Technische Details.«
»Ich nehme an, der Gebäudekomplex gehört zum Nervi‐Konzern?«
»Ganz recht.« Swain nannte ihm den Namen und die Adresse des Labors.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
22
Lily musste lächeln, als am nächsten Morgen ihr Handy klingelte. Weil sie fest mit einem halb ironisch, halb ernst gemeinten obszönen Anruf von Swain rechnete, prüfte sie nicht einmal die Nummer im Display, ehe sie die Sprechtaste drückte. Um ihm eins auszuwischen, verstellte sie ihre Stimme und bellte mit tiefer, fast maskuliner Stimme ein ungeduldiges
»Hallo!« ins Telefon.
»Mademoiselle Mansfield?« Das war eindeutig nicht Swains Stimme; sondern eine, die elektronisch verzerrt war und sich anhörte, als käme sie aus einer tiefen Trommel.
Lily erstarrte vor Schreck und hätte das Handy im Reflex beinahe wieder ausgeschaltet, aber im nächsten Moment hatte sie sich gefangen. Dass jemand ihre Handynummer hatte, bedeutete noch lange nicht, dass er wusste, wo sie sich aufhielt.
Das Telefon war auf ihren echten Namen registriert; die Wohnung und alles, was damit zusammenhing, lief auf den Namen Claudia Weber. Im Grunde war es beruhigend, dass der Anrufer sie als »Mansfield« angesprochen hatte; demnach war ihre Tarnung als »Claudia« noch nicht aufgeflogen.
Woher hatte der Anrufer ihre Nummer? Es war ihr Privathandy, das sie nur für persönliche Gespräche nutzte.
Natürlich hatten Tina und Averill die Nummer gehabt, und Zia ebenfalls; Swain hatte sie jetzt auch. Wer sonst? Früher hatte sie einen großen Bekanntenkreis gepflegt, aber das war praktisch in der Vor‐Handy‐Zeit gewesen; seit dem Tag, an dem sie Zia gefunden hatte, war der Kreis, weil sie sich ganz ihrem Baby gewidmet hatte, immer kleiner geworden. Und nach dem Debakel mit Dmitri war er bis auf einige magere Überreste abgeschmolzen. Jetzt fiel ihr außer Swain niemand mehr ein, der diese Nummer haben konnte.
»Mademoiselle Mansfield?«, fragte die verzerrte Stimme noch mal.
»Ja?« Lily bemühte sich, ganz ruhig zu klingen. »Woher haben Sie diese Nummer?«
Darauf bekam sie keine Antwort, stattdessen hörte sie auf Französisch: »Sie kennen mich nicht, aber ich kannte Ihre Freunde, die Joubrans.«
Die Worte klangen eigenartig, und nicht nur, weil sie elektronisch verzerrt waren. Sie hörten sich an, als hätte der Anrufer Probleme beim Sprechen. Als Lily die Namen ihrer Freunde hörte, wurde sie noch misstrauischer. »Wer sind Sie?«
»Entschuldigung, aber das kann ich nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Es ist sicherer so.«
»Für wen?«, erkundigte sie sich trocken.
»Für uns beide.«
Na gut, eine ehrliche Antwort hatte sie nicht wirklich erwartet. Aber damit konnte sie leben. »Weshalb rufen Sie an?«
»Ich bin derjenige, der Ihre Freunde damals beauftragt hat, das Labor zu zerstören. Ich hatte nie beabsichtigt, dass das passiert, was dann passiert ist. Niemand sollte dabei umkommen.«
Lily tastete blindlings nach einem Stuhl und ließ sich wie vom Blitz getroffen darauf fallen. Sie hatte nach Antworten gesucht, und nun wurden sie ihr ohne jede Vorwarnung in den Schoß geworfen. Zwei Sprichwörter geisterten ihr im Kopf herum: »Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul«
und »Traue keinem Danaer, auch wenn er Geschenke bringt«.
Was war der Anrufer wohl eher, im übertragenen Sinn natürlich – ein Gaul oder ein Grieche?
»Womit haben Sie die Joubrans damals beauftragt?«, brachte sie schließlich heraus. »Und vor allem, warum rufen Sie mich an?«
»Ihre Freunde haben ihre Mission erfolgreich durchgeführt – aber sie haben sie nicht endgültig abgeschlossen. Leider wurden die Forschungen wieder aufgenommen, und sie müssen unbedingt gestoppt werden. Sie haben einen guten Grund, Erfolg zu suchen: Rache. Darum haben Sie auch Salvatore Nervi umgebracht.
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