Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
Kassette da wieder rauszuschmuggeln. Bei dem Polizeiaufgebot! Alle Achtung, Mann!« Ja, der Silvio konnte einem doch imponieren. Wahrscheinlich hatte ich mich in ihm gründlich geirrt. »Jetzt will ich aber wissen, wie viel drin ist! Den Schlüssel hast wohl nicht zufällig?«
»Nee, das Ding müssen wir aufbrechen. Ist aber nur eine Kleinigkeit. Das machen wir dann ganz entspannt zu Hause bei einem Bierchen. Das haben wir uns wirklich verdient.«
Nach wenigen Metern stoppte uns allerdings eine Polizeistreife. Die rothaarige Polizistin stieg aus und platzierte sich vor unserem Wagen. Sie öffnete die Fahrertür. »Aussteigen, meine Herren!«
Verdattert verließen wir das Auto. Die Polizistin wedelte mit zwei Blättern. »Schaun Sie mal, was ich da eben im Mülleimer an der Gaststätte gefunden habe. Einen Routenplaner. Und was steht da wohl als Zielort drauf?«
Wir sahen uns an.
»Richtig. Gaststätte Zur Harzer Hexe. Straße des Friedens Nummer 1. Sie waren also nur zufällig im Lokal? Rein zufällig?«
»Das sagt gar nichts«, widersprach Silvio tapfer. »Das kann ja auch von den anderen Gästen stammen.«
»Genau!«, sagte ich bekräftigend. »Das ist kein Beweis!«
»Doch!« Die Polizistin sah uns triumphierend an. »Sie haben als einzige Gäste kein Auto mit modernem Navigationssystem.«
Wir schluckten.
»Jetzt werde ich mir Ihren Wagen noch mal ganz genau anschauen.« Sie beugte sich in den Fahrerraum. »Was haben wir denn hier?« Natürlich entdeckte sie auf Anhieb die Kassette.
»Die gehört mir!«, warf ich ein.
»Haben Sie den Schlüssel dabei? Da möchte ich denn doch zu gern mal reinschauen. Was ist da drin?«
»Geld«, sagte ich. »Geld ist da drin. Was wohl sonst? Und den Schlüssel habe ich zu Hause.«
»Na, das will ich aber jetzt ganz genau wissen. Die Kassette bekomme ich bestimmt auf. Probieren wir es einfach mal. Schließlich ist Gefahr im Verzug!«, erklärte sie, als ich protestieren wollte. Sie nahm eine Haarnadel aus ihrem roten Dutt und bog sie zurecht. Nach wenigen Minuten hatte sie die Kassette geöffnet und zeigte ihrem Kollegen den Inhalt. Beide lachten lauthals los.
»Und, ist da etwa kein Geld drin?«, wagte ich nach Minuten zu fragen.
»Doch!«, prustete sie. »Geld ist drin. Ein paar hundert Mark, schätze ich.«
Ein paar hundert Mark? Keine Euro? Da musste schnell eine Erklärung her.
»Das Geld habe ich auf dem Dachboden meiner verstorbenen Tante gefunden. Da gibt es doch so eine Bank, die alles noch umtauscht … Ich will das nächste Woche tun.«
»Dies hier aber nicht! Das kriegen Sie nicht getauscht.« Die Polizistin wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und wedelte mit den Scheinen. »Hier steht Deutsche Demokratische Republik drauf. Das ist DDR-Geld. Und Sie sind vorläufig festgenommen.«
Langsam kapierte ich. Der Zwangsumtausch! Wir hatten die Kassette mit dem Geld für den lustigen Zwangsumtausch geklaut.
Ihr Kollege führte uns dann ab. Silvio wandte sich zu mir und sagte: »Sorry Mann, dumm gelaufen, was?«
Ja, das war es. Dumm gelaufen.
Die Toten im Kalender
VON MATTHIAS BISKUPEK
Der Auftrag liegt da, mit Unterschrift, Datum und Summe, und sollte mich frohgemut stimmen. Frohgemut! Wer verwendet heute noch Wörter aus längst vergangenen Jahrhunderten. Aber ich bin dazu verdammt, mich mit ollem Zeugs zu beschäftigen. Mit verdammt ollem Zeug. Es ist mein Beruf. Zumindest verschafft er mir einmal jährlich einen Auftrag, den ich in zweiundfünfzig, meist sogar dreiundfünfzig kleinen Aufträgen abarbeiten kann.
Ja, als Junge wollte ich Forscher werden. Urwald. Antarktis, Buenos Aires. Was bin ich geworden? Handwerker des Wortes. Zumindest einmal im Jahr. Wenn ich Werbezeitungen texte oder in schlimmen Zeiten austragen muss, um nicht die Grundsicherung, wie es beschönigend heißt, beantragen zu müssen, bin ich Kleingewerbetreibender. So heiße ich, steuerrechtlich. Dabei wollte ich, als die Träume von Buenos Aires, Antarktis und Urwald an den blutroten Klippen eines real beschissenen Systems zerplatzten, wenigstens berühmt werden. Berühmt konnte man in meiner Jugend werden, wenn man Romane und Komödien schrieb. Ich schrieb und wurde nicht berühmt. Vielleicht waren meine Romane zu kurz und die Komödien zu ernst, obwohl ich sicher bin: Es lag am System. Ich durfte nicht hochkommen.
Ich erspare mir die Knüppel, die mich ins Rad der Geschichte stolpern ließen und als Sand im Getriebe meine Pläne zerplatzen ließen.
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