Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
»Internationale Gartenbauausstellung«, musste ich die 32. Woche des vorvorletzten Kalenders machen, jenes Kalenders also, der derzeit in den Wohnstuben einst systemtreuer Familien hängt.
Jener Privatdetektiv verschwand spurlos. Die Polizei hatte zwar ermittelt und dabei herausgefunden, wo er von Zeugen zuletzt gesehen wurde. Doch niemand kam auf die Idee, sich diese Verkehrsampel mal genau anzusehen. Dabei hat das unabhängige Institut zur unabhängigen Erforschung der ehemaligen DDR-Lichtsignalanlagen herausgefunden, dass gerade solche Ampeln, die ich heutzutage mit »lustig« kennzeichnen muss, weil der Verlag das so will, genutzt wurden zu illegalen Datenspeicherzwecken. Unter diesen Datenspeicherplätzen sollen nicht selten Fallgruben, also Liquidationskammern, gewesen sein, und wenn man heute immer wieder von plötzlichen Erdfällen hört, in denen Autos, Menschen und Pferde – auch Pferde! – verschwinden, so hat das damit zu tun.
Doch ich muss die zweite Januarwoche beschönigen, indem ich das durchaus zweckdienliche, das westdeutsche, demokratische Ampelmännchen als »stocksteif« bezeichne. Stocksteif hat exakt zehn Zeichen, bringt mir also ein Honorar von – nein, das darf ich nicht sagen. Laut meines Knebelvertrags muss ich Stillschweigen bewahren über alle relevanten Vertragsdaten. Auch dieser Knebelparagraf eines Knebelvertrags kann nur ein Überbleibsel menschenfeindlicher Verträge aus einem Land sein, das ich alljährlich mit 52, meist sogar 53 Texten schönfärben muss.
Der Privatdetektiv damals blieb verschwunden. Es durfte eigentlich auch unter kommunistischer Willkür nicht sein, dass ein Mensch verschwindet. Mitten in Mitteleuropa! Nicht im sowjetischen Asien oder in Mafia-Landen. Hier! In Erfurt! Dem damaligen pulsierenden Verwaltungszentrum des Bezirkes Erfurt. Doch das Verschwinden wurde so gründlich praktiziert, dass sich heute niemand mehr daran erinnern kann, will und darf, dass es in der DDR Privatdetektive gegeben hat.
Die Tochter des Privatdetektivs ließ nicht locker. Sie wurde wieder und wieder bei den Behörden vorstellig. Ihr Vater habe an einer ganz großen Sache gearbeitet. Er habe das Geheimnis hinter den grün gefärbten Zäunen lüften wollen. Zuvor sei er schon in Sonneberg einer noch größeren Sache auf der Spur gewesen. Die Piko-Eisenbahn, die ich in der zwölften Kalenderwoche würdigen muss, hatte mit den künstlich angeborenen Herzfehlern zu tun. Jawohl. Denn es war ja sowjetisches Wismut-Kapital, mit dem die Piko-Eisenbahn-Produktion angekurbelt wurde. Damals, als ich auch mal in Sonneberg zu einer Lesung war – ich hatte meinen ersten Roman in Arbeit, der dann nur zensiert erscheinen durfte, so dass er planmäßig kein Erfolg wurde –, also bereits damals hatte der Privatdetektiv in Sonneberg ermittelt. Die Piko-Modelleisenbahnen aus Sonneberg waren ihm nur Vorwand, um das Wismut-Kapital der ehemaligen Sowjetunion zu durchleuchten. Über die Wismut habe ich vor vier Jahren mal ein Kalenderblatt erarbeitet; es wurde natürlich scharf zensiert, denn ich hatte viele Seiten lang die üblen Machenschaften und vor allem die Gesundheitsgefährdungen der strahlenden Pechblende, des Materials, für das »Wismut« ja nur als Tarnname eingeführt wurde, aufgelistet. Die Redaktion an Rhein und Ruhr strich mir alles auf acht beschönigende Zeilen zusammen …
Kurz: Der Privatdetektiv war schon ins Fadenkreuz der Ermittler gelangt, und so war sein Verschwinden an der Erfurter Ampelkreuzung nur die logische Folge der Sonneberger Ereignisse, wie ich seine Nachforschungen in Sachen Modelleisenbahn und Wismut-Kapital übertiteln möchte.
Die Tochter des Privatdetektivs also – ich erzähle hier über private Dinge, die mir anvertraut wurden, aber einmal muss es ja gesagt werden –, also die Tochter ließ nachforschen. Da bediente man sich eines ganz einfachen Tricks, um sie zum Schweigen zu bringen. Nein, sie verschwand nicht wie ihr Vater, aber sie ließ die Sache auf sich beruhen. Oder, um es deutlicher zu formulieren. Sie brachte die Sache zur ewigen Ruhe.
Um das zu erklären, muss ich das 28. Blatt des überübernächsten Kalenders bemühen, das einiges erklärt. Wer sich an die DDR erinnert, wird sich an die Firma Pouch erinnern. Das 28. Blatt des überübernächsten Kalenders. Im Ort am Muldestausee stand der größte und somit auch führende Produzent für Campingausrüstungen in der damaligen und ehemaligen DDR. Allein mit
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