Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
doch herein.«
Friese öffnete das Tor, hielt es für Mandy auf. Wucht beschloss, sich ebenfalls angesprochen zu fühlen, und folgte den beiden über den Hof. Vor ihm hielt Friese Vorträge über den Betrieb eines Gehöftes; es klang ein bisschen, als würde ein Modelleisenbahner über globale Logistikprobleme referieren; typisches Laiengeschwätz. Mandy nickte, interessierte sie das wirklich?
Sie traten durch die Haustüre, direkt in einen Raum, der wie eine Kreuzung aus Ballsaal und amerikanischer Wohnküche aussah. Ohne Brille hätte Wucht vermutlich die hintere Wand nicht wahrgenommen.
»Sie haben’s hübsch hier.« Mandy guckte auf die Küchenmöbel, als überlege sie schon mal, wo sie einen Kredit herbekommen könnte.
»Ja, die Achtundsechziger haben damals bei ihrem Marsch durch die Uni-Institutionen aufgepasst, dass beim Kampf für die bessere Welt was auf dem Konto landet. Davon habe auch ich profitiert, obwohl ich in den Siebzigern in der Jungen Union war.« Friese machte ein Schelmengesicht, so als hätte er dem Zeitgeist gezeigt, was eine Harke ist. Hatte er wohl auch.
Ganz im Gegensatz zu Wucht, der deshalb das Thema wechselte: »Sie haben Günter Schober gekannt?«
»Er kam ein paar Mal zu Vorträgen von mir und hat die mit seinem Geschwätz sabotiert. Wenn Sie das unter Bekanntschaft verstehen …«
»Sie waren also nicht der Ansicht, dass Herr Schober Wesentliches zur Regionalforschung beigetragen hat?« Mandy hatte einen Stift und einen Moleskine-Block gezückt.
»Nein. Er war ein Laie. Dazu einer ohne besondere Ahnung. Wenn Sie verstehen, was ich meine.« Friese sprach weiter in Mandys Richtung.
Besser so, dachte Wucht; wenn dieser Schnösel ihn nach dem Verständnis einer simplen Aussage gefragt hätte, wäre er vielleicht pampig geworden.
Mandy schien ein Sonnengemüt zu haben. Sie fragte: »Warum haben Sie auf die Publikationen von Herrn Schober überhaupt reagiert?«
»Ich bin Historiker, habe mein ganzes Leben mit der Geschichtswissenschaft verbracht. Richtig geforscht am Lehrstuhl. Und da kommt so ein Dilettant, ohne systematische Kenntnisse von Quellen, ohne fundierten Überblick. Und der spielt sich als Experte auf. Das ist unerträglich. Da können Sie mir doch folgen, oder?« Friese schaute zu Mandy und dann zu Wucht.
Ganz ruhig bleiben, dachte Wucht und hörte sich sagen: »Wo waren Sie gestern gegen vier Uhr nachmittags?«
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Und ich denke auch, Sie haben meine Zeit genug beansprucht.«
Mandy sagte: »Gut Herr Friese, wir wollten sowieso gerade gehen. Darf ich noch mal auf die Toilette?«
Wucht wies Mandy einen Platz in seinem Multifunktionszimmer zu. Küche mit Schreibtisch hätte man auch sagen können, aber er fand, Multifunktionszimmer klang nach erfülltem Leben. Früher hatte er seine Behausungen Wohnklo genannt. Jetzt lebte er im Vorortgrün; in der Parterrebude einer Bischlebener Kate. Nur ein Schlafraum, Bad und seine Küche, die aber größer als alle seine früheren Wohnzimmer. Und das Amt zahlte artig.
Er goss Mandy Kaffee in eine Tasse, dazu in gleichem Maße Milch. Kein Zucker, eine Frau wie sie leistete sich keinen Zucker im Kaffee, das war klar.
»Hier sieht es ganz anders aus, als ich mir vorgestellt habe.« Mandy inspizierte mit ihren Blicken die Bücherregale.
»Du meinst, weil hier keine leeren Bierdosen und Pizzapackungen herumkullern? Weil es hier nicht aussieht, wie bei den Hartz-IV-Reportagen im Privatfernsehen?«
»Ach Mann, Lothar. Journalisten sind auch nicht alle gleich! Es ist nur anders, als ich es mir vorgestellt habe. Gemütlicher.«
Lothar hätte gern etwas gesagt wie »Du bist anders als die anderen.« Aber das traute er sich nicht. Also schwieg er.
Mandy legte einen gelben Stein in der Größe eines Hühnereis auf den Tisch und nickte, als müsse er Bescheid wissen.
Wucht zuckte mit den Schultern. Nonverbale Kommunikation, fast wie ein altes Ehepaar, dachte er.
»Hab’ ich bei Friese im Spülkasten gefunden«, sagte Mandy.
»Du wühlst bei fremden Leuten im Spülkasten rum?«
»Nur bei erklärten Feinden von Mordopfern, keine Sorge. Und ich hab’ auch zuerst im Schrank geguckt und in der Konsole. Und dann war da der Spülkasten … Viel Fantasie hat der Professor nicht.«
»Du hast den Stein geklaut?«
»Ausgeliehen. Und auch nur einen.«
Wucht guckte und kam sich vor, als habe er gerade erfahren, dass die Thüringer Landesregierung aus lauter Außerirdischen bestand.
Weitere Kostenlose Bücher