Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
er neben den Wessis auch Frauen für esoterikanfällig hielt und zwar Frauen aus aller Welt; aber er hatte das Gefühl genug provoziert zu haben. Fürs Erste.
Mandy Gunkel nippte an ihrem Kaffee, der reichlich Milch enthielt, echte Milch. »Sie wollen sicher auch herausfinden, was da los war.«
Wucht nickte.
»Und Sie haben heute Nachmittag doch Zeit.«
Wucht nickte.
»Ich habe einen Interview-Termin mit Schobers Sohn. Kommen Sie mit?«
Wucht nickte.
»Und ich bin übrigens die Mandy.«
Wucht nickte. »Lothar.«
In das Büro hätte eine Turnhalle gepasst, mit Umkleidekabinen. An den Wänden hingen Plakate für Jugendtanzveranstaltungen, von denen eine Atmosphäre ausging, die Wucht an Eisbaden bei Gewitter denken ließ.
Schon als er selbst jung gewesen war, konnte er nicht verstehen, warum Menschen sich ausgerechnet in Diskotheken mit ohrenbetäubendem Lärm begaben, um einen Geschlechtspartner kennen zu lernen. Was sollten das für Beziehungen werden, wenn die Beteiligten im Vorfeld kein Wort wechselten? Heutzutage, mit diesem Blitzlicht aus den Stroboskopen, konnten die jungen Leute sich nicht einmal richtig erkennen, bevor sie am Morgen nebeneinander aufwachten …
Andererseits hatte Wucht seine Frau beim Theaterzirkel getroffen. Im Hellen und ohne Lärm. Und sie war ihm dennoch davongelaufen.
Kay-Uwe Schober kam hinter seinem Schreibtisch hervor. Er trug ein gelbes Kapuzenshirt unter einem blauen Jackett und über einer sackartigen Jeans mit Hosentaschen ungefähr in Kniehöhe; er bat Mandy und Wucht an einen runden Tisch.
»Willkommen in meiner kleinen Agentur.«
»Sie machen diese Plakate?«, fragte Wucht.
»Nein. Unser Team organisiert die Events. Dance, Promo, Special-Features. Mit Topacts aus USA, UK. Alles, was hip ist.«
Wucht überlegte, ob er dem Kerl ein paar Vokabeln aus dem Russisch-Unterricht vors Kapuzenshirt knallen sollte, aber Mandy übernahm das Gespräch.
»Wissen Sie, was Ihr Vater im Jonastal gefunden hat? Was er der Presse zeigen wollte?«
»Ich denke, es ging um das Bernsteinzimmer.«
»Sie meinen, er hat es gefunden?«
Kay-Uwe Schober zögerte, dann sagte er: »Sie haben das vielleicht verfolgt? Er ist in der letzten Zeit mehr und mehr der Ansicht gewesen, dass nicht das gesamte Zimmer im Jonastal gelagert wurde, sondern nur einzelne Artefakte.« Kay-Uwe Schober zeigte über seine Schulter zu seinem Schreibtisch und erzählte, dass dort das Manuskript für das neueste Buch seines Vaters liege. Schober senior hatte geglaubt, Belege gefunden zu haben, dass die Nazis das Bernsteinzimmer in einem Stollen im Jonastal zwischengelagert hatten und beim Abtransport Reste zurücklassen mussten. Reste im Wert von Millionen. Die Artefakte hätten sie dann in versteckten Armen der benachbarten Höhle verbuddelt.
Er schloss mit den Worten: »Ich hoffe, dass Vati etwas gefunden hat. Das war alles teuer genug, die letzten Jahre.«
»Wie viel Geld bekommt man für so ein Buch?«, fragte Wucht, einerseits, um auch mal etwas zu fragen, andererseits, weil es ihn interessierte.
»Vati hat für sein erstes Buch viel Geld bezahlt. Er musste 500 Exemplare selbst kaufen …« Kay-Uwe Schober holte Luft, als wolle er gleich Tauchen gehen. »Ich habe, seit der Mord im Radio gemeldet wurde, schon zwei Anfragen bekommen. Das soll nicht zynisch klingen, aber für das Manuskript da hinten werde ich ein paar Euro kriegen. Kein Vermögen. Und ich werde mich vor allem kümmern, weil ich Vati damit einen Wunsch erfüllen kann. Ein Buch in einem richtigen Verlag.«
Die Lehmfassade leuchtete in der Vormittagssonne mit dem Grün von Waldmeisterlimonade, das Dach strahlte rot wie eine Feuerwehr-Reklame. Professor Friese leistete sich Gemütlichkeit mit Mut zum Kitsch. Lothar Wucht stand mit Mandy vor einem Gehöft in Crawinkel, das aussah, als hätte es jemand zu einem Agrar-Erlebnispark ausgebaut.
Durch den frisch gebeizten Zaun sah Wucht ein Audi-Cabrio. Er war stets unangenehm berührt, wenn ältere Herren Automobile spazieren fuhren, die vor allem geeignet schienen, junge Frisösen zu beeindrucken.
Mandy drückte den Klingelknopf. Auf dem Nachbargrundstück bellte ein Hund. Ins Gebell rief eine Stimme: »Komme gleich.«
Das Türschloss am Fachwerkhaus klackte, und der Mann zur Stimme trat auf den Hof: graue Haare, Anzug, eine Brille, randlos und schmal wie ein Lyrikband.
»Ah, die Journalisten.« Professor Friese hatte offenkundig gute Laune. Er guckte zu Mandy. »Aber kommen Sie
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