Moerderische Schaerennaechte
stieg ihr in die Nase, und sie musste noch mehr weinen. Eine ganze Weile lag sie zusammengerollt auf seinem Bett, die Pyjamajacke in der Hand.
Schließlich warf sie einen Blick auf die Uhr, es war fast halb acht. Sie sollte eigentlich Abendbrot machen, aber sie hatte keinen Appetit. Außerdem tat es ihr in der Seele weh, einen einzelnen Teller auf den Tisch zu stellen, auf dem drei Teller hätten stehen sollen.
Aber sie musste etwas essen, und sei es nur wegen ihres Diabetes.
Wohlmeinende Freunde hatten versucht, sie damit aufzumuntern, dass sie nun mehr Zeit für sich habe und tun und lassen könne, was sie wolle. Einmal richtig ausspannen, hatte die eine oder andere Freundin am Telefon geseufzt, während die Familie im Hintergrund lärmte.
Die so etwas sagten, wussten ja nicht, wovon sie redeten.
Nora begrub ihr Gesicht wieder in Simons Pyjama und fragte sich, was er wohl gerade machte. Wahrscheinlich badete er, es war ja bald Schlafenszeit. Sie sah ihr altes Haus vor sich und stellte sich vor, wie er mit seinem ganzen Plastikspielzeug in der Badewanne saß. Ein Schluchzen stieg ihr in die Kehle.
Mühsam setzte sie sich auf und wischte sich die Tränen ab. Sie musste ihr Insulin nehmen und etwas essen. Vielleicht ging es ihr danach besser.
Sie stellte eine Tasse Tomatensuppe und einen Teller mit zwei belegten Broten auf ein Tablett und ging ins Wohnzimmer. Dort setzte sie sich vor den Fernseher und schaltete die Nachrichten ein, die gerade begannen. Mit halbem Ohr hörte sie die vertrauten Klänge des Vorspanns. Wie üblich dominierte das Elend – auf der ganzen Welt herrschte Unruhe an den Finanzmärkten, und die Reihe der schlechten Nachrichten nahm kein Ende.
Plötzlich wurde das Foto eines Gesichts gezeigt, das ihr bekannt vorkam. Nora setzte sich im Sofa auf. War sie dem Mann auf dem Foto nicht schon begegnet? Irgendetwas an ihm war ihr vertraut.
»Die Anwohner sind alarmiert, nachdem am vergangenen Wochenende ein schwerbehinderter Mann in seiner Wohnung ermordet wurde«, sagte der Reporter. »Das Opfer, Jan-Erik Fredell, wurde in seiner Badewanne ertränkt, während seine Frau einkaufen war.«
Die Kamera zeigte ein Mietshaus, vor dem mehrere Polizeiautos standen. Kurz bevor das Bild verschwand, meinte Nora, Thomas’ Gesicht entdeckt zu haben. Ermittelte er in dem Fall?
Jan-Erik Fredell.
Sie durchforstete ihre Erinnerung. Sie hatte ein gutes Personengedächtnis und vergaß so schnell niemanden, den sie einmal kennengelernt hatte.
Der Nachrichtenmoderator leitete zum nächsten Beitrag über, der von den Finanzmärkten handelte, während Nora sich immer noch zu erinnern versuchte, woher sie den ermordeten Mann kannte. Sie zog ihren Laptop aus der Aktentasche, und als er hochgefahren war, gab sie den Namen Jan-Erik Fredell in die Suchmaschine ein.
Nach wenigen Sekunden füllte sich der Bildschirm mit Textzeilen. Die meisten Fundstellen bezogen sich auf denselben Nachrichtenbeitrag, der gerade im Fernsehen gesendet worden war, aber dann kam ein Ergebnis mit einem bekannten Namen. Enskede-Schule, Lehrerkollegium 1981.
Da machte es klick.
Vor sechsundzwanzig Jahren war Jan-Erik Fredell ihr Sportlehrer gewesen. Nora besuchte die achte Klasse, und Fredell kam frisch von der Hochschule.
Alle Mädchen in ihrer Klasse waren in ihn verknallt gewesen. Jan-Erik Fredell war breitschultrig und muskulös und wahnsinnig attraktiv mit seinem kurzen aschblonden Haar und seinem charmanten Lächeln. Nora und ihre Freundinnen hatten sich alles Mögliche einfallen lassen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Es war, als hätte man einen amerikanischen Filmstar an der Schule.
Davor hatten sie eine strenge Gymnastiklehrerin gehabt, die ihren Auftrag zur Leibesertüchtigung sehr ernst nahm. Sie hatte ihnen sämtliche Freude am Sportunterricht vermiest, indem sie Nora und ihre Mitschülerinnen zu Turnübungen zwang, die allen zuwider waren.
Jan-Erik Fredell hatte der Klasse gezeigt, dass Sport etwas ganz anderes war. Plötzlich durften sie Baseball und Fußball spielen, in Mannschaften, die er zusammenstellte, damit sich niemand zurückgestoßen und außen vor fühlte. Sogar der Orientierungslauf machte auf einmal Spaß.
Er verstand es, seine Schüler für jeden Sport zu begeistern, und als Nora schließlich Abitur machte, stellte sie fest, dass Jan-Erik Fredell einer der besten Lehrer gewesen war, die sie während ihrer Schulzeit gehabt hatte. Ein Lehrer, dem seine Schüler wirklich am Herzen lagen.
Jetzt war er
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