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Moerderische Schaerennaechte

Moerderische Schaerennaechte

Titel: Moerderische Schaerennaechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viveca Sten
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die Fahrrinne vor Waxholm überqueren. Die Temperatur liegt seit mehreren Wochen bei minus zehn Grad, deshalb wird die Fahrrinne alle zwei Tage von Eisbrechern geöffnet.
    Die Rinne sieht aus wie ein schwarzer Riss im Eis, ein breit klaffender Schlund voller grauer Eisschollen, die planlos darin treiben.
    Das Eis ist glatt, trotz der rauen Oberfläche, und die Schollen kippen und schlagen um, wenn man an der falschen Stelle auftritt. Wichtig ist, ständig in Bewegung zu bleiben, sonst liegt man gleich auf der Schnauze.
    Der Uffz ist mit uns durchgegangen, wie wir von einer Eisscholle zur nächsten springen müssen, um es auf die andere Seite zu schaffen.
    Letztes Jahr ist ein Rekrut dabei ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Er hat sich eine Lungenentzündung zugezogen und wurde nach Hause entlassen. Als der Uffz uns das erzählte, lachte er, und der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören.
    Dann richtete er den Blick auf Andersson. Lange, ohne noch etwas zu sagen, so als wüsste er schon, dass Andersson es nicht schafft.
    Die Botschaft war deutlich: Das wird morgen die Hölle für dich, und ich werde daneben stehen und zusehen.
    »Schläfst du?«
    Ich war gerade am Einschlafen, als ich Anderssons Stimme in der Dunkelheit hörte. Es war still in der Stube, nur drüben an der Tür schnarchte einer. Ein Streifen weißen Vollmondlichts fiel ein paar Meter weiter durchs Fenster.
    »Schläfst du?«, fragte er wieder leise.
    »Fast«, murmelte ich zurück.
    »Ich weiß nicht, ob ich mich traue, morgen auf die Eisschollen zu springen.«
    Seine Stimme klang erstickt, gepresst. Als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Ich schob den Gedanken beiseite, ein Küstenjäger heult nicht.
    »Als Kind wäre ich beinahe in einem Eisloch ertrunken. Mein Vater hat mich im letzten Moment rausgezogen.«
    Ich rollte mich im Bett herum und drehte den Kopf in seine Richtung. Im Dunkeln war es schwer, seine Gesichtszüge zu erkennen, aber ich spürte, dass er mich ansah.
    »Das wird schon gut gehen.«
    »Und wenn nicht?«
    Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    Leise Geräusche drangen durch die Nacht, Seufzer und Atemzüge der anderen Kameraden. Die Silhouetten tief schlafender Körper unter grauen Wolldecken zeichneten sich in der Dunkelheit ab. Kaufman lag auf dem Rücken und schnaufte wie ein großes Baby.
    »Die wollen uns nicht umbringen«, flüsterte ich zurück. »Auch wenn es manchmal so scheint. Dass sie uns hart rannehmen, ist Teil des Spiels, das weißt du doch.«
    Es sollte leichthin klingen, aber ich merkte selbst, wie plump sich das anhörte.
    »Die schicken uns nur aufs Eis, wenn alles okay ist. Das klappt schon.«
    Ein Räusperlaut, fast wie ein Schluchzen.
    »Bist du sicher?« Seine Stimme klang jetzt eine Idee fester. »Glaubst du das wirklich?«
    »Klar.«
    Ich bemühte mich, überzeugt zu klingen, viel überzeugter, als ich war.
    »Wenn du reinfällst, ziehen wir dich wieder raus. Ist doch keine große Sache, und du wärst nicht der Erste. Die rechnen bestimmt damit, dass welche ins Wasser fallen, damit wir die Spikes einsetzen und Eisrettung trainieren können.«
    Ich drehte mich um.
    »Wir müssen jetzt schlafen. Die wecken uns morgen ganz früh. Du hast gehört, was der Uffz gesagt hat.«
    Im Dunkeln ahnte ich Anderssons Umrisse. Er schwieg. An der anderen Seite hustete Sigurd und kämpfte im Schlaf mit der Decke.
    Wieder einmal fiel mir auf, wie ähnlich Andersson meinem kleinen Bruder war. Ebenso welpenhaft in seinen Bewegungen, ebenso begierig, dazuzugehören. Was hast du hier zu suchen, wenn du Angst vor einer Eisrinne hast?, dachte ich. Was hast du hier zu suchen?
    Wir waren erschöpft vom Marsch, noch ehe wir die Rinne erreichten. Der Atem dampfte aus meinem Mund, und die eiskalte Luft stach in den Lungen. Keuchend sank ich auf die Knie, um mich ein paar Sekunden auszuruhen, bevor ich an der Reihe war.
    Ich war so fertig, dass jeder Atemzug wehtat.
    Irgendwie schaffte ich es hinüber auf die andere Seite. Andersson war hinter mir, er war der Letzte in der Gruppe, alle anderen hatten die Überquerung bereits geschafft. Als ich mich umdrehte und zurückblickte, befand er sich mitten zwischen den Eisschollen.
    Der Lichtkegel vom Leuchtturm fegte über das Eis und streifte sein Gesicht, das auf und ab hüpfte, als er versuchte, von einer Scholle zur nächsten zu springen. Es war ebenso grau wie das Eis.
    Er hatte Todesangst, Angst davor, weiterzulaufen, und noch mehr Angst, stehen zu bleiben. Seine

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