Moerderische Sehnsucht
Einladung, nicht wahr?«
» Selbstverständlich. Es ist wichtig… Ah! Verstehe. Wie ist er an eine Einladung gekommen, wenn seine Adresse gar nicht seine Adresse ist? Einen Augenblick.«
Sie stand auf, lief über die blank polierten Fliesen und den dicken türkischen Läufer und verließ den Raum.
» Ich mag sie.« Peabody genehmigte sich eins der Plätzchen. » Sie erinnert mich irgendwie an meine Großmutter. Nicht so, wie sie aussieht oder lebt.« Sie sah sich in dem eleganten Zimmer um. » Aber sie ist genauso aufgeweckt. Sie weiß nicht nur, wie der Hase läuft, sondern macht den Eindruck, als hätte sie es immer schon gewusst. He, diese Plätzchen sind der Hit. Und so dünn, dass sie fast durchsichtig sind.«
Sie nahm sich einen zweiten Keks. » Durchsichtiges Essen kann nicht allzu viele Kalorien haben, oder? Los, essen Sie auch eins von den Dingern, sonst komme ich mir verfressen vor.«
Geistesabwesend schob sich auch Eve ein Plätzchen in den Mund. » Er spendet nicht für die Oper. Geht ab und zu auf irgendwelche Feste, aber lässt nicht wirklich Kohle dort. Natürlich kosten auch die Eintrittskarten und der Besuch dieser Events etwas, aber dafür bekommt er schließlich etwas zurück. Auch dabei geht es um Kontrolle. Wenn man etwas spendet, kann man nicht direkt beeinflussen, wohin die Asche geht.«
Sie drehte den Kopf, als Jessica wieder ins Zimmer kam.
» Das Rätsel ist gelöst, bleibt aber trotzdem rätselhaft. Lyle wusste zu berichten, dass unser Mr Pierpont sich sämtliche Tickets, Schreiben, Einladungen, Bettelbriefe und so weiter an der Kasse zurücklegen lässt.«
» Ist das normal?«
» Oh nein.« Jessica nahm wieder Platz und trank einen Schluck von ihrem Tee. » Es ist sogar äußerst ungewöhnlich. Aber wir versuchen, unseren Kunden entgegenzukommen, auch wenn sie eher knausrig sind.«
» Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen oder mit ihm gesprochen?«
» Lassen Sie mich überlegen. Oh ja, er hat unseren Winterball besucht. Am zweiten Samstag im Dezember. Ich kann mich daran erinnern, dass ich abermals versucht habe, ihn dazu zu überreden, Mitglied unseres Fördervereins zu werden. Natürlich wird dort ein ziemlich hoher Mitgliedsbeitrag verlangt, aber man genießt dadurch auch beachtliche Vorteile. Er ist ein echter Opern-Fan, kennt sich mit der Materie aus und weiß diese Kunst zu schätzen, hat aber kein Interesse daran, sie zu fördern. Weil er offensichtlich ziemlich geizig ist. Ich habe ihn im Verlauf der Zeit des Öfteren zu den Vorstellungen kommen sehen. Immer zu Fuß. Leistet sich noch nicht mal einen Wagen. Und kommt immer allein.«
» Hat er je mit Ihnen über sein Privatleben gesprochen?«
» Lassen Sie mich nachdenken.« Sie legte die Beine übereinander und schwang den Fuß, der in der Luft hing, langsam vor und zurück. » Die Leute dazu zu bewegen, über ihr Privatleben zu sprechen, gehört einfach dazu, wenn man ihnen Geld entlocken will. Er ist bereits seit langer Zeit verwitwet und ziemlich weit gereist. Er hat behauptet, er hätte bereits Aufführungen in allen großen Opernhäusern der Welt besucht. Wobei ihm die italienischen Opern die liebsten sind. Oh!«
Sie hob einen Finger und schloss kurz die Augen, als fiele ihr mit einem Mal noch etwas ein. » Ich erinnere mich, vor ein paar Jahren habe ich mich wieder einmal an ihn herangemacht. Er hatte ein paar Gläser Wein getrunken, deshalb hatte ich die Hoffnung, dass er sich vielleicht endlich dazu überreden lässt, den Mitgliedsantrag zu unterschreiben. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, ob wahre Kunst- und Musikbegeisterung erblich oder erlernbar ist. Bei der Gelegenheit hat er mir erzählt, er hätte seine Liebe zur Kunst und zur Musik als Junge von seiner Mutter beigebracht bekommen. Darauf habe ich gesagt, dass diese Liebe, wenn er sie von seiner Mutter hat, vielleicht doch eher in den Genen liegt. Aber er hat widersprochen und mir erklärt, auch wenn diese Frau die einzige Mutter gewesen wäre, die er jemals gekannt hätte, wäre sie die zweite Frau s eines Vaters gewesen, hätte ihn also nicht auf die Welt gebracht. Sie hatte angeblich eine herrliche Sopranstimme.«
» War also eine Sängerin.«
» Danach habe ich ihn auch gefragt. Wobei seine Antwort etwas seltsam war. Sie wäre eine große Sängerin gewesen, aber die Umstände hätten ihr das Glück verwehrt, jemals auf einer großen Bühne aufzutreten, und dann wäre ihre Zeit abgelaufen gewesen. Ich bin sicher, so hat er es formuliert.
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