Mörderische Tage
Gesicht wie immer vom dichten Bart und von der dunklen Brille verdeckt war.
»Du hast mir aufgetragen, alles aufzuschreiben, was mir zu meinem Leben einfällt. Und mir ist eingefallen, dass ich geheime Wünsche und Phantasien habe, die ich bisher nie ausdrücken konnte. Haben wir nicht alle Wünsche und Phantasien, die nur uns ganz allein gehören? Die wir keinem anderen, auch nicht dem besten Freund oder der besten Freundin anvertrauen, weil nicht einmal ihnen dieses Privileg zuteil werden darf, da wir sonst unser ganz persönliches Geheimnis verlieren würden. Ist es nicht so?«
»Sehr gut ausgedrückt. Meine Hochachtung. Da kommt eben die sprachgewandte Germanistin und Lektorin durch. Und ich komme tatsächlich in den Genuss, deine geheimsten Gedanken und Phantasien lesen zu dürfen? Welche Ehre.«
»Es geht um mein Leben. Jeder, der nicht sterben will, kämpft mit allen Mitteln darum. Du würdest es auch tun, Professor.«
»Das ist wahr. Aber um deine ursprüngliche Frage zu beantworten, nein, ich habe jetzt keine Lust auf einen Fick, aber ich komme vielleicht noch einmal darauf zurück, bevor du diese Stätte verlässt. Das heißt, Lust hätte ich schon, allein mir fehlt die Zeit, denn auch ich habe eine Menge zu tun. Und nun mach dich wieder an die Arbeit, ich bin gespannt auf das, was du mir zu sagen hast. Bis bald.«
»Bis bald, Professor.«
Er schloss die Tür hinter sich ab und blieb noch eine Weile davor stehen. Von allen Frauen, die er bisher in seiner Gewalt gehabt hatte, war sie die mit Abstand klügste und am schwersten einzuschätzen. Sie hatte das Spiel und die Herausforderung rasch angenommen und gleichzeitig herausgefunden, wo seine Schwachstellen, seine Gelüste, seine Phantasien und seine Wünsche lagen. Sie war schneller als irgendein anderer Gefangener in dieses Spiel eingestiegen, sie hatte schneller als alle anderen die Regeln erkannt und begriffen, deshalb war es auch für ihn eine besondere Herausforderung, sie die nächsten Tage zu beobachten und mit ihr zu spielen.
Doch an erster Stelle des Spiels stand Julia Durant. Sie war die Figur, auf die er lange gewartet hatte und von der er so viel wusste. Auf ihre Strategie war er gespannt, aber noch viel mehr auf das, was vonseiten der Polizei geschehen würde.
Als er allein im Gang stand, die Arme auf das alte Geländer gestützt, und nach unten sah, wo sich weitere zwölf Zellen befanden, die er jedoch nicht nutzte, dachte er nach. Er dachte an seine Frau Rahel und all das, was in den vergangenen Jahren gewesen war. Wenn sie wüsste, was er trieb, würde sie auf der Stelle tot umfallen. Oder auch nicht, dachte er lächelnd. Vielleicht sollte ich sie mal hierherführen und sie den wahren Geruch schnuppern lassen und nicht nur den, der als kleiner Rest letzte Nacht an mir gehaftet hat. Aber das werde ich nicht tun, es sei denn, sie lässt mir keine Wahl. Nein, das würde auch mein Ende bedeuten, denn wie sollte ich plausibel erklären, wo meine geliebte blinde Frau abgeblieben ist? Einfach so abgehauen, wo wir doch immer das Vorzeigepaar schlechthin waren? Das würde mir keiner abkaufen. Sie darf es nicht erfahren und sie wird es nicht erfahren. Basta.
Um ein Uhr betrat er sein Haus. Im gesamten Erdgeschoss brannte Licht, das er bewusst angelassen hatte. Rahel kümmerte es nicht, ob Licht war oder keins, auch wenn sie manchmal behauptete, das Licht fühlen zu können. Sie fand sich auch so zurecht wie ein Maulwurf. Bewundernswert, mit welcher Gelassenheit sie ihr Schicksal gemeistert hatte.
Er begab sich unter die Dusche, wusch sich die Haare und rasierte sich zum zweiten Mal innerhalb von nicht einmal achtzehn Stunden. Danach ein exklusives Bodyspray unter die Achseln und auf die Brust und ein Hauch Aftershave derselben Marke, Rahel sollte schließlich nie wieder sagen, er würde nach Keller riechen, es sei denn, er hatte tatsächlich im Weinkeller zu tun.
Er legte sich ins Bett, sie knurrte nur leicht und drehte sich auf die andere Seite, ein Zeichen für ihren tiefen Schlaf. Er war auch müde, ein langer und sehr anstrengender Tag lag hinter ihm, und maximal fünf Stunden Schlaf waren ihm vergönnt. Gleich nach dem Aufstehen würde er in seinem Büro auf dem Notebook nach seinem großen Schatz, seiner Errungenschaft, seinen Geiseln schauen. Vor allem interessierte ihn, wie sich Alina Cornelius und Julia Durant machten, wobei Letztere wahrscheinlich noch schlafen oder zumindest sehr benommen sein würde. Nach dieser ersten Kontrolle
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