Mörderische Tage
Wahl kommt. Kennt ihr den Film >Die üblichen Verdächtigem< ?«
Hellmer nickte, und Sabine Kaufmann sagte mit kehliger Stimme, als begriffe sie allmählich, dass mit Lara Jung nicht irgendein unreifes Mädchen vor ihr saß: »Ja.«
»Dann erinnert ihr euch mit Sicherheit auch an die Schlussszene, in der alles auf den Kopf gestellt wurde. Alles in diesem Film beruht auf Lüge und Täuschung. Ihr sucht nach einem Mann, der ähnlich agiert wie der Verbrecher in diesem Film. Ihr würdet jeden für den Täter halten, nur nicht ihn – bis zur letzten Szene. Das ist seine Mathematik.«
»Das heißt, wir müssen noch einmal alle Befragten durchgehen und schauen, welcher von ihnen in Frage kommen könnte«, sagte Hellmer nachdenklich.
»Richtig, aber meinen Vater könnt ihr außen vor lassen. Er mag zwar ein riesengroßes Arschloch sein, aber er ist kein Mörder, dazu fehlen ihm die Chuzpe, der Mut und die Verwegenheit. Er ist nicht kaltblütig genug und legt größten Wert darauf, nirgends anzuecken. Er ist auch nicht hochintelligent. Er findet sein Leben okay, so wie es ist, er hat Geld, ist einigermaßen erfolgreich im Beruf, und er hat seine jungen Mädchen, die ihn anhimmeln. Mehr braucht er nicht.«
»War er jemals gewalttätig?«, fragte Sabine Kaufmann.
»Nein, das ist aber auch das Einzige, was ich ihm hoch anrechne. Er hat Frederik und mich, solange wir hier wohnten, nie angerührt. Er verabscheut Gewalt in jeglicher Form. Und glaubt mir, er ist nicht mal in seinen Gedanken gewalttätig. Er ist so unglaublich berechenbar, dass es schon langweilig ist.«
»Danke«, sagte Hellmer, »du hast uns sehr geholfen.«
»Keine Ursache. Noch ein kleiner Tipp: Fangt bei denen an, die ihr zuerst ausgeschlossen oder die ihr noch gar nicht in Erwägung gezogen habt. Einer meiner Professoren hat immer wieder betont, dass ein menschliches Monster oder eine Bestie nie so aussieht, wie wir es uns vorstellen, also mit einem grimmigen Gesichtsausdruck oder stechendem Blick oder mit Hörnern. Es kann eine schöne Frau sein, ein edel gekleideter Herr mit besten Manieren, eine gebildete Frau oder ein charmanter Mann – aber auch genau das Gegenteil von alledem. Das Monster sieht zu neunundneunzig Prozent nie so aus, wie wir es uns vorstellen würden. Und da gilt es anzusetzen, das Unmögliche für möglich zu halten. Das ist Profiling.«
»Woher wissen Sie so viel darüber?«, fragte Sabine Kaufmann mit zusammengekniffenen Augen.
»Hat Ihr Kollege Ihnen das nicht gesagt? Mein Bruder und ich studieren in den USA und werden schon bald beim FBI anfangen.«
»Als Profiler?«
»Ich werde in dem Bereich tätig sein, mein Bruder die meiste Zeit am Computer verbringen. Er ist ein mathematisches und organisatorisches Genie.«
»Alle Achtung. Und das, was Sie …«
»Sag bitte du und Lara, ich mag dieses Förmliche nicht, das ist so typisch deutsch.«
»Gut. Das, was du eben über Profiling gesagt hast, das meinst du ernst?«
»Hätte ich's sonst gesagt? Alle Fakten zusammennehmen und die Kunst anwenden, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Ihr werdet es schaffen. Alles ist mathematisch berechenbar.«
Hellmer hatte den Blick zur Seite gedreht, ließ ihn über den großen Garten schweifen und hörte wie durch einen Nebel die letzten Worte von Lara.
»Ich glaube, wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte er unvermittelt.
Lara lächelte versonnen. »Jetzt ist dir etwas eingefallen, richtig? Das Unmögliche, das du nie für möglich gehalten hättest?«
»Vielleicht«, antwortete Hellmer. Er wandte sich an Sabine Kaufmann: »Macht es dir was aus, uns mal für einen kurzen Moment allein zu lassen?«
Sie erhob sich wortlos und ging zum Pool, starrte auf das Wasser und verspürte den Drang, hineinzuspringen und ein paar Runden zu drehen. Lara beobachtete sie und sagte: »Wenn du schwimmen willst, dort auf der Bank liegen noch ein paar Bikinis. Tu dir keinen Zwang an.«
»Danke.«
Als wäre es das Natürlichste der Welt, zog sich Sabine Kaufmann vor den Augen Hellmers und Laras um und sprang ins Wasser.
»Warum willst du mich allein sprechen?«
»Du hast mir mehr geholfen als irgendein Kollege im Präsidium. Wenn mir irgendwann mal einer gesagt hätte, dass eine Siebzehnjährige mir meinen Beruf erklärt, ich hätte demjenigen entweder den Vogel gezeigt oder meinen Dienst quittiert. Aber heute bin ich dankbar, dich getroffen zu haben.«
»Danke, die Begegnung mit dir war auch für mich etwas Besonderes. Aber ganz
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