Mörderische Tage
auftaucht, scharen sich die Männer um sie, vermutete Hellmer.
»Lara, hier ist jemand von der Polizei«, sagte Frederik.
Sie wandte sofort ihren Kopf, hielt eine Hand so über die Augen, dass sie nicht von der Sonne geblendet wurde, und musterte Hellmer für einige Sekunden. »Polizei? Wie mein Bruder Ihnen sicherlich bereits erklärt hat, sind unsere Eltern nicht da, sie …«
»Das ist alles schon geklärt«, wurde sie von ihrem Bruder unterbrochen. »Der Herr Kommissar hat wohl ein paar Fragen an uns.«
Lara setzte sich auf, Hellmer hatte Mühe, seinen Blick nicht zu lange auf ihrem Körper verweilen zu lassen. Bei ihr passte alles, das Gesicht, der Busen, die schlanke Taille, die langen Beine, die besonders zur Geltung kamen, als sie aufstand und mit wiegendem Schritt auf Hellmer zukam, als hätte sie es einstudiert. Oder dieser Gang war ihr wie so vieles in die Wiege gelegt worden.
»Fragen Sie, Herr …«
»Hellmer, Frank Hellmer.« Er fühlte sich mit einem Mal unsicher, ihr Blick klebte an ihm, schien ihn zu durchbohren, als wolle sie erforschen, wie es in seinem Innern aussah. Dabei bildete sich ein spöttischer Zug um ihren Mund, als sie dicht vor ihm stehen blieb und er das Gefühl hatte, ihren Atem zu spüren. Sie war deutlich kleiner als ihr Bruder, höchstens ein Meter siebzig.
»Also, Herr Hellmer, was können wir für Sie tun?«, fragte sie und deutete auf einen Stuhl. »Frederik, hol dir doch bitte auch einen Stuhl, denn ich nehme an, der Herr Kommissar will uns beide befragen, wobei ich ernsthaft überlege, was es sein könnte. Es tut mir leid, Herr Hellmer, aber ich fühle mich manchmal etwas unsicher in Gegenwart der Justiz.«
»Das brauchen Sie nicht. Ich hab das zwar schon Ihren Bruder gefragt, aber mich würde interessieren, warum Ihre Eltern allein in Urlaub geflogen sind?«
»Ist das in diesem Land neuerdings verboten?«
»Nein, ich wollte mit Ihrem Vater sprechen und ihm ein paar Fragen stellen.«
»Tja, da werden Sie sich wohl noch dreieinhalb Wochen gedulden müssen. Und sie sind allein geflogen, weil Frederik und ich es vorgezogen haben, hierzubleiben und als Hüter des Hauses zu fungieren.«
»Und weil noch Schule ist«, fügte Hellmer hinzu.
Sie lachte kurz und trocken auf und schüttelte den Kopf: »Nein, wir sind bereits seit etwas über zwei Wochen hier. Frederik und ich studieren in den USA und …«
»Moment, damit ich das richtig verstehe, Sie und Ihr Bruder studieren?«, fragte Hellmer überrascht.
Lara lachte erneut auf und antwortete: »Herr Hellmer, Frederik und ich haben seit unserem siebten Lebensjahr eine spezielle Schule besucht und unseren Abschluss mit fünfzehn gemacht. Danach haben wir uns ein Jahr Auszeit genommen, und mit sechzehn ging es direkt auf die Uni. Wenn alles glattläuft, werden wir in spätestens zwei Jahren an unserer Promotion arbeiten.«
»Sind Sie so etwas wie Wunderkinder?«, fragte Hellmer mehr im Scherz, doch der Gesichtsausdruck von Lara und Frederik belehrte ihn schnell eines Besseren.
»Nein, wir sind nur etwas anders veranlagt oder genetisch different disponiert, falls Ihnen das lieber ist. Wir sind das, was man landläufig hochbegabt nennt, wobei ich diesen Begriff nicht sonderlich mag, er klingt so arrogant.«
»Moment, Sie sind beide hochbegabt?«, fragte Hellmer, dessen Erstaunen immer größer wurde. »Kommt das nicht sehr selten vor, dass in einer Familie gleich zwei …?«
»Natürlich. Aber man kann sich seinen IQ nicht aussuchen«, erwiderte Lara mit ernster Miene. »Genauso wenig wie seine Eltern. Hochbegabung, das kann ich Ihnen versichern, ist Segen und Fluch zugleich. Außerdem sind Frederik und ich Zwillinge.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ganz einfach, Frederik und ich wurden am selben Tag gezeugt und am selben Tag in einem Abstand von wenigen Minuten geboren. Mädchen sind da meistens etwas schneller, weshalb ich mich die Ältere von uns beiden nennen darf, was aber nicht unbedingt etwas zu bedeuten hat.«
»Nein, das meinte ich nicht, sondern das mit Ihren Eltern und dem …«
»Segen und Fluch? Alles eine Frage des Blickwinkels. Von den einen, die mit einem durchschnittlichen IQ zur Welt gekommen sind, werden wir gemieden, von manchen sogar gehasst oder wie Aussätzige behandelt, mit denen, die mit uns auf einer Stufe stehen, stehen wir in einem ständigen Konkurrenzkampf. Jeder will beweisen, dass er oder sie besser ist. Glauben Sie mir, Frederik und ich haben einige erlebt, die mit diesem Druck nicht
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