Mörderische Tage
hundertfünfundsiebzig, Frederiks liegt gerade mal einen Punkt darunter. Und Ihrer? Oder kennen Sie ihn nicht?«
»Doch, ich hab ihn vor vielen Jahren in der Schule messen lassen, da lag er bei hundertdreiundvierzig.«
»Und da sind Sie ein normaler Kriminalbeamter geworden? Hundertdreiundvierzig ist weit über dem Durchschnitt, Hochbegabung fängt bei hundertdreißig an, falls Ihnen das nicht bekannt sein sollte. Wir haben eine ganze Reihe von Hochbegabten, die hundertdreißig, hundertfünfunddreißig und so weiter haben. Was ist passiert?«
Hellmer zuckte mit den Achseln und meinte: »Zu meiner Zeit hat man Hochbegabten noch nicht die Chancen eingeräumt wie heute.«
»Aber mit diesem IQ werden Sie die Verbrechen aufklären, Sie müssen nur an sich und Ihre Fähigkeiten glauben. Und das meine ich ernst. Lassen Sie sich nicht zu sehr von anderen beeinflussen, das ist nämlich das, was die wirklich Intelligenten aus der Bahn wirft. Im Gegensatz zu den meisten anderen sind wir hochsensibel, ohne dabei zu sehr unsere Gefühle zu zeigen. Gehen Sie Ihren Weg, so wurde es auch uns permanent in der Schule eingetrichtert. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«
»Dreiundvierzig.«
»Ich hätte Sie jünger geschätzt. Aber gut, in dem Alter haben Sie laut wissenschaftlicher Auffassung noch nichts von Ihrem IQ eingebüßt, es sei denn, Sie umgeben sich nur mit Trash oder haben es verlernt, ihr Gehirn zu trainieren, oder sind auf Drogen oder ein notorischer Säufer. Ich bin fast sicher, dass Sie unterfordert sind und längst noch nicht Ihre Grenzen ausgelotet haben, und schon gar nicht die Kapazität Ihres Gehirns.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Beobachtung. Sie können bestimmt weit mehr, als man Ihnen zutraut oder Sie sich selbst zutrauen, Sie müssen nur aus Ihrer Ecke herauskommen. Spielen Sie Schach?«
Bei jeder anderen Siebzehnjährigen hätte Hellmer sich über die Reife gewundert, nicht aber bei Lara Jung, die eine Souveränität und ein Charisma ausstrahlte, wie er es noch nie bei einer so jungen Frau erlebt hatte. Und die ganze Zeit über verließ ihn nicht das Gefühl, als könnte sie in ihn hineinsehen.
»Schon, aber ich hatte nie die Zeit und auch keinen Partner ...«
»Kommen Sie vorbei, wenn Sie mal eine Stunde Zeit haben, Frederik oder ich spielen gerne eine Partie mit Ihnen. Sie sollten sich allmählich daran gewöhnen, nicht zu den normalen Menschen zu gehören, und zwar bevor es zu spät ist. Wir helfen Ihnen, soweit uns das möglich ist und sofern Sie das überhaupt möchten. Das würde zumindest unseren Urlaub hier etwas abwechslungsreicher gestalten.«
»Einverstanden, das Angebot nehme ich gerne an. Ich kann meistens um diese Zeit oder auch etwas später.«
»Kein Problem, wir sind noch dreieinhalb Wochen hier, danach finden Sie uns in den USA. Bis bald.«
»Bis bald.«
Das ist irre, dachte Hellmer, als er wieder im Auto saß, absolut irre. So etwas hab ich noch nie erlebt, zwei hochbegabte Kinder in einem Haushalt. Aber wie konnte mich Lara so genau analysieren? Es war in jedem Fall ein ausgesprochen seltsamer Besuch. Aber sie hat recht, ich habe mich in den vergangenen Jahren viel zu sehr von anderen beeinflussen lassen – Julia, Nadine und all die anderen. Ich habe immer nur funktioniert, so wie es mir schon zu Hause beigebracht wurde. Nicht aufmucken, zu allem ja und amen sagen … Scheiße! Ich habe mindestens die Hälfte meines Lebens verschenkt. Aber das wird sich ändern, ich werde mich ändern. Ihr werdet euch alle noch über euren kleinen dummen Frank Hellmer wundern.
Mittwoch, 19.00 Uhr
Johann Jung klingelte pünktlich an der Praxis von Alina Cornelius, sie machte ihm die Tür auf und ließ ihn eintreten. Er duftete wieder nach einem unaufdringlichen und doch außergewöhnlichen Eau de Toilette, das wie für ihn kreiert war.
»Hallo, Herr Jung«, begrüßte sie ihn und reichte ihm die Hand.
»Hallo«, erwiderte er mit einem freundlichen Lächeln und nahm die Hand, ohne sie zu fest zu drücken. Er wirkte im Gegensatz zum Montag regelrecht aufgekratzt.
Sie begaben sich in das Behandlungszimmer, Alina Cornelius ließ die Tür offen, außer ihnen befand sich niemand in der Praxis.
»Wie geht es Ihnen heute?«, war ihre erste Frage, während sie sich setzten.
»Danke, es geht mir gut. Ich habe mich an Ihren Rat gehalten und das empfohlene Antidepressivum besorgt. Ich habe auch seit Montag keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt.«
»Das freut mich zu hören. Aber
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