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Mörderische Tage

Mörderische Tage

Titel: Mörderische Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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für Sekundenbruchteile die Nacht zum Tag. Etwa einen Kilometer vor seinem Haus schlugen die ersten Tropfen auf die Windschutzscheibe. Und als er den Wagen stoppte und ausstieg, war es, als öffne der Himmel sämtliche Schleusen.
    Um halb drei schloss er die Haustür auf, die Gegend rings um das Haus war wie ausgestorben. Er ging auf Zehenspitzen in den ersten Stock und zog seine Sachen aus, stellte sich unter die Dusche, wusch die Haare und rasierte sich, cremte sein Gesicht mit einer intensiven Feuchtigkeitscreme ein – der aufgeklebte Bart ließ seine Haut austrocknen – und betrachtete sich im Spiegel. Er war zufrieden, denn dies war ein ganz besonderer Abend gewesen, dem noch viele folgen sollten. Jetzt ging es ihm weniger um das, was er getan hatte, vielmehr beschäftigte ihn die Frage, was die Presse über Paulina berichten würde, mit Sicherheit würden die Zeitungen ein Bild abdrucken und die Bevölkerung fragen, ob irgendjemand diese junge Frau kenne oder Hinweise geben könne, wo sie zuletzt gesehen wurde, das Übliche eben. Aber niemand würde sich melden, denn wer konnte sich schon an eine kleine Hure aus Polen erinnern, wo doch die meisten Huren ihre Aufenthaltsorte ständig wechselten. Und er wusste auch, wie schnell die Erinnerung verblasste. Fast alle Huren auf dem Straßenstrich waren drogen- oder alkoholabhängig, ihr Erinnerungsvermögen reichte von einem Schuss zum nächsten und von einer Flasche zur anderen, jede dieser erbärmlichen Kreaturen dachte nur an das eigene Überleben, so wie in seinen Augen alle Menschen nur an sich dachten, an ihr Wohl, jeder ein verdammter Egoist, der sein Spiel ohne Rücksicht auf andere durchzog. Die einen mit Gewalt, die anderen, indem sie schauspielerten und die große Liebe vorgaukelten, wieder andere, indem sie sich scheinbar in ihr Schicksal ergaben und dabei Pläne schmiedeten, wie andere zu vernichten waren. Das Spiel des Lebens wurde von jedem auf diesem Planeten auf seine Weise gespielt, und doch ähnelten sich die Spielweisen, sofern man wie er genauer hinschaute. Er hatte längst gelernt, dass jeder ausschließlich an sich selbst dachte und der angebliche Altruismus, diese verdammte Selbstlosigkeit, mit der sich einige schmückten, nichts als leeres Geschwätz und Getue war. Bereits als Kind hatte er die Spielregeln durchschaut und sehr früh beschlossen, nie mit dem Strom der Lügner, Heuchler und Betrüger zu schwimmen.
    Er war ein großer Künstler, einer der größten aller Zeiten, nein, der größte. Ein Magier, der nicht mit Taschenspielertricks arbeitete, nein, das hatte er nicht nötig, von ihm konnten Copperfield und Co. noch lernen. Und dennoch gab es ein bislang unüberwindbares Problem – dass er mit seiner Kunst und seinen Fähigkeiten allein war und mit niemandem darüber sprechen konnte. Dies bereitete ihm Kopfzerbrechen, die Lösung gestaltete sich schwieriger als die Suche Einsteins nach der Relativitätstheorie oder die Beantwortung der Frage, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei, oder ob das Universum durch den Big Bang entstanden war oder nicht doch jene recht behalten sollten, die behaupteten, es habe immer schon existiert.
    Seine Gedanken kehrten zurück zu Paulina und Karolina. Nein, niemand würde die beiden jemals vermissen, selbst wenn die Fahndungsplakate in Legnica, dem ehemaligen Liegnitz, in Polen ausgehängt würden. Zwei junge Frauen, die bis zu ihrem zwölften beziehungsweise vierzehnten Lebensjahr in diversen Waisenhäusern gelebt hatten, bis sie Prostituierte wurden und von Ort zu Ort zogen, um schließlich in Frankfurt zu landen. Endstation eines verheißungsvollen Traums, Endstation Sehnsucht.
    Für ihn gab es keine Endstation, nur einen Traum, den er sich unbedingt erfüllen wollte. Und sobald er ihn sich erfüllt hatte … Nein, er wollte diesen Gedanken nicht weiterdenken, nicht jetzt, nicht bevor der Traum Realität geworden war. Irgendwann würden die größten und bedeutendsten Kriminologen der Welt sich auf Kolloquien versammeln und über ihn berichten, ohne seinen Namen zu kennen. Und sie würden streiten, aber auch in Ehrfurcht vor dem erstarren, was er geleistet hatte. Man würde Bücher über seine Taten schreiben, Filme drehen. Und somit würde der Name, den man ihm geben würde, niemals verblassen. Aber das Geheimnis seiner wahren Identität würde er mit ins Grab nehmen.
    Er ging hinunter in die Küche, trank ein Glas Orangensaft und betrachtete sein Spiegelbild im Fenster. Er war zufrieden.
    Er

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