Mörderische Vergangenheit (German Edition)
Flachdach leckte noch nicht. Trotz der Schweinerei, die er bereits im Kühlraum angerichtet hatte, musste Keppler sich noch mehrmals heftig übergeben, zum Glück entdeckte er dazu einen geräumigen Mülleimer. Auch diesen reichte er dem Handlanger des Schläfers. Keppler fühlte sich ausgelaugt wie nach einer Chemotherapie, jegliche Kraft war aus seinem Körper gewichen. Er konnte den Kaffeebecher, den ihm der soeben geweckte Schläfer hinstellte, nur mit beiden Händen halten, während er an den abermals barbusigen Asiatinnen vorbeilief, die sich beim Verpacken der Ware mit OP-Masken vor dem Einatmen kleinster Partikel schützten. Und ebenso auch das Geschäftsmodell ihres Chefs, denn der konnte nichts weniger brauchen als drogenabhängige Vertriebsmitarbeiterinnen. Er wollte schließlich so viel Geld verdienen wie möglich, ehe ihn ein Besucher wie Keppler an den eigentlichen Grund seines Aufenthaltes in diesem Land erinnern würde. Das erkannte man nicht bloß an seiner Vorliebe für angeberischen Goldschmuck und ebensolche Rapmusik, die aus einem Gettoblaster dröhnte, sondern auch an den als Graffitis an die Wand gesprühten Dollarnoten. Am liebsten hätte der Schläfer in seinem gläsernen Büro dazu noch eine Geldzählmaschine arbeiten lassen, aber die neue Geschäftsidee stand noch ziemlich am Anfang. Aus Kepplers Nase und den Tränen-Kanälen floss Blut, das reichlich auf den Linoleumboden tropfte. Doch anscheinend scherte sich niemand darum, wer der Mann war, der aus der Kälte kam. Er musste allerdings eine wichtige Persönlichkeit sein, das erkannten sie daran, dass der Boss ihn behandelte wie sonst niemanden, mit Respekt. Im Hinterzimmer bekam Keppler dann seine zerlegte Waffe in einem Beutel, bevor er sich einen Wagen organisieren musste, um zum Ort seines Attentats aufzubrechen, an dem Reinhard bereits auf ihn lauern würde. Denn der befand sich in einem Militärhubschrauber auf dem Weg. Und mit ihm ein Dutzend Agenten aus dem örtlichen Büro. Es waren leider nicht die hellsten Köpfe, doch Reinhard musste nehmen, wen er kriegen konnte, um seinem Präsidenten das Leben zu retten. Nahezu jeder Kellner auf der Veranstaltung war ein Polizist oder Agent, das gesamte schlossartige Gebäude am Waldrand stand unter ihrer Kontrolle. Es hatte einst als Wohnsitz eines Ölmillionärs gedient, seitdem allerdings auch als illegales Spielcasino und von der Obrigkeit geduldetes und genutztes Edelbordell herhalten müssen. Doch von der bewegten Vergangenheit des Anwesens war im plüschigen Ballsaal nicht mehr viel zu spüren. Den ehemals spiegelglatten Parkettboden hatten die Stühle an fünfzig schlampig gedeckten Esstischen verkratzt, die wie beim Animationsabend im Ferienklub auf eine Showbühne mit Lautsprecheranlage und Theatervorhang ausgerichtet waren. Reinhard genoss die Ruhe, doch in wenigen Augenblicken würde das Publikum hier einfallen. Jedoch bloß durch eine einzige Tür, die übrigen Eingänge zum Saal hatten seine Agenten vernagelt. Jeder, der die Show sehen oder einen Politiker ermorden wollte, musste an Reinhard oder seinen Männern vorbei und in die Falle laufen. Selbst den Sanitäter ließ er beim Betreten des Innenraums sorgfältig überprüfen. Den konnte er nicht gegen einen Beamten austauschen, denn hier traten regelmäßig Notfälle ein, bei denen ein echter Fachmann gebraucht wurde. Sie befanden sich schließlich in einem Altersheim, dem größten der gesamten Gegend. Notärzte und Bestatter gehörten hier neben geldgierigen Verwandten zum alltäglichen Bild. Den konservativen Senatskandidaten Erickson von seinem Auftritt vor so vielen potenziellen Wählerinnen abhalten zu wollen, war sinnlos. Reinhard durfte ihm ja auch kaum enthüllen, dass er dieses Mal ohnehin verlieren würde. Außerdem gab es in den frühen Achtzigern keine Doppelgänger-Agenturen, bei denen man sich ein Double besorgen konnte. Reinhard musste schon den leibhaftigen späteren Präsidenten beschützen. Doch sie hatten eigentlich alles im Griff.
„Also, wenn der Attentäter keine Rentnerin ist, werden wir ihn finden!“, verspra ch einer der lokalen Agenten. Reinhard schüttelte sich. Selbst wenn jedes Pantoffeltier gefilzt wurde, das einen Saal betreten wollte, ging doch meistens etwas schief. Das wusste er nur zu gut.
„Hoffentlich erwis chen wir den Kerl schon vor der Show!“, betete er.
Reinhard hatte s chon versucht, Ericksons Auftritt so weit wie möglich nach hinten zu verlegen, um mehr Zeit zu haben, den
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