Mörderische Weihnacht
war für eine Witwe ein sicheres Leben, aber ein Verlust? Einsam mag sie allerdings sein.«
»Ich meinte nicht Vater Ailnoth«, sagte Cadfael.
Sie sah ihn wieder mit den hellblauen Augen direkt an und seufzte gedankenvoll. »Ja, Ihr habt mit ihm gearbeitet, Ihr kennt ihn. Er hat Euch sicher erzählt, daß sie seine Amme war und keine Blutsverwandte? Sie hatte keine eigenen Kinder, und er ist ihr teuer wie ein Sohn. Ich… ich habe zufällig auch mit ihm gesprochen. Ihr wißt ja, daß er meinem Stiefvater eine Nachricht sandte. Das weiß inzwischen jeder. Ich war neugierig, diesen jungen Mann kennenzulernen, das ist alles.«
Sie hatten das Torhaus der Abtei erreicht. Dort blieb sie zögernd stehen und sah stirnrunzelnd zu Boden.
»Jetzt sagen alle, daß er - dieser Ninian Bachiler - Vater Ailnoth getötet hätte, weil der Priester ihn dem Sheriff ausliefern wollte. Ich wußte, daß Diota davon gehört hatte. Ich wußte, daß sie allein war und sich um ihn ängstigte, seit er geflohen ist, denn jetzt geht es auf Leben und Tod.«
»So habt Ihr sie besucht, um ihr Gesellschaft zu leisten und sie zu trösten«, sagte Cadfael. »Kommt mit in den Garten, und wenn Ihr alle Kräuter habt, die Ihr wollt, dann glaube ich, daß wir noch einen anderen guten Grund finden. Es wird Euch sicher nicht schaden, eine Arznei zu holen, um den Husten zu kurieren, der in ein oder zwei Wochen kommen mag.«
Sie strahlte ihn an. »Die gleiche Arznei, die Ihr mir gegeben habt, als ich zehn war? Ich habe mich so verändert, daß Ihr mich wahrscheinlich nicht mehr erkennt. Und ich bin so gesund, daß ich höchstens alle sieben oder acht Jahre Eure Hilfe brauche.«
»Wenn Ihr mich jetzt braucht«, sagte Cadfael einfach, während er sie über den großen Hof zum Garten führte, »dann soll es mir recht sein.«
Sie folgte ihm zögernd und senkte in dieser Enklave der Männer bescheiden den Blick, doch in der sicheren Abgeschiedenheit der Hütte setzte sie sich bequem hin und streckte die kleinen Füße an die Kohlenpfanne, bevor sie Atem schöpfte und freier weitersprach, nachdem alle fremden Ohren ausgesperrt waren.
»Ich besuchte Frau Hammet, weil ich fürchtete, sie könnte jetzt, da sie so bedroht ist, etwas Dummes tun. Sie ist Ninian sehr ergeben, und in der Verzweiflung könnte sie alles, wirklich alles tun, damit er frei ausgeht. Sie könnte sogar eine verrückte Geschichte erfinden, um die Schuld auf sich selbst zu nehmen.
Ich bin sicher, daß sie das für ihn tun würde. Wenn sie glaubte, es könnte ihn von jeder Schuld reinwaschen, würde sie sogar den Mord gestehen.«
»Dann seid Ihr zu ihr gegangen«, sagte Cadfael, während er sich in seiner kleinen Welt umtat, um sie im Glauben zu lassen, sie würde nicht genau beobachtet, »um sie zu drängen, den Mund zu halten und geduldig abzuwarten, weil er noch frei und nicht in mittelbarer Gefahr ist, nicht wahr?«
»Ja. Und wenn Ihr sie wieder aufsucht oder sie zu Euch kommt, dann sagt Ihr bitte dasselbe. Laßt nicht zu, daß sie etwas tut, das ihr schaden könnte.«
»Hat er Euch geschickt, sie aufzusuchen und ihr dies zu sagen?« fragte Cadfael direkt.
Sie war noch nicht bereit, sich ganz ans Licht ziehen zu lassen, aber sie lächelte unsicher. »Ich weiß und verstehe einfach, wie er sich um sie sorgen muß. Er wäre froh, wenn er wüßte, daß ich mit ihr gesprochen habe.«
Und er wird es erfahren, noch ehe viele Stunden vergangen sind, dachte Cadfael. Nun frage ich mich nur noch, wo sie ihn versteckt hat. Er mochte in Shrewsbury oder in der Umgebung noch einige alte Häuser ihres Vaters geben, wo Menschen lebten, die viel für Bernieres Tochter tun würden.
»Ich weiß«, erklärte Sanan nun bedächtig und feierlich, während sie Cadfaels Bewegungen genau beobachtete, »daß Ihr Ninian schon entlarvt hattet, bevor mein Stiefvater ihn verriet. Ich weiß, daß er Euch von sich aus erzählte, wer er ist und warum er hier ist. Ihr sagtet ihm, daß Ihr nichts gegen einen ehrlichen Mann habt, egal, auf welcher Seite er steht, und daß Ihr ihm nichts antun würdet. Und Ihr habt das Geheimnis bis jetzt gehütet, obwohl es gar kein Geheimnis mehr ist. Er vertraut Euch, und ich bin entschlossen, Euch ebenfalls zu vertrauen.«
»Nein«, erwiderte Cadfael eilig, »sagt mir nichts! Wenn ich nicht weiß, wo der Junge ist, kann es auch niemand aus mir herausholen, und ich kann mich guten Gewissens auf meine Unwissenheit berufen. Ich mag den tapferen Burschen, selbst wenn er für
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