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Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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verlassen.
    Nun, wenn Cadfael die Mütze übersehen hatte, dann konnte er noch ein zweites, ebenso wichtiges Ding - und sein Dämon flüsterte unablässig, daß er wirklich etwas übersehen hatte - vernachlässigt haben. Und wenn, dann konnte es nur am Ufer oder im Wasser oder sogar in der Mühle selbst sein. Andere Stellen kamen nicht in Frage.
    Die halbe Stunde, die bis zur Komplet noch blieb, verbrachten die meisten Brüder vernünftigerweise im Wärmeraum, um sich die Kälte aus den Knochen zu vertreiben.
    Es war närrisch, um diese Stunde im Dunkeln zur Mühle zu gehen, aber Cadfael konnte sich nicht zurückhalten. Seine Gedanken kreisten um den Tatort, als könnten Teich, Mühle und die nächtliche Einsamkeit die Ereignisse des Weihnachtsabends Wiederaufleben lassen und seiner Erinnerung einen Stoß geben, damit sie das vergessene Mosaikstückchen offenbarte. Er ging über den großen Hof in den Winkel hinter der Krankenstation, wo die kleine Pforte in der Abteimauer einen direkten Durchgang zur Mühle bot.
    Draußen, ohne Mondlicht und mit nur wenigen Sternen am Himmel, mußte er eine Weile innehalten, bis seine Augen sich an die Nacht gewöhnt hatten und sich die Umrisse aus dem Dunkel schälten: das hohe Gras der Wiese, der wuchtige Umriß der Mühle zu seiner Rechten, an der Ecke des Gebäudes direkt vor ihm die kleine Holzbrücke, die den Mühlkanal überspannte und zum überhängenden Ufer des Teichs führte. Als er sie überquerte, klangen seine Schritte scharf und dumpf auf den Planken. Er ging durch die schmale Wiese bis zum Ufer. Vor ihm lag die weite Wasserfläche, bleich und in bleierner Schwere, rundherum mit halb getautem Eis eingefaßt.
    Nichts rührte sich hier außer ihm, nichts war zu hören. Nicht einmal ein Windhauch regte sich zwischen den geschmeidigen nackten Trieben der gestutzten Weiden, die links von ihm am Ufer standen.
    Ein paar Meter in diese Richtung, direkt hinter dem vordersten Stumpf, der bis in Hüfthöhe heruntergeschnitten war und nun Sprossen hatte, die aufrecht standen wie die Haare eines erschreckten Riesen, hatten sie Ailnoths Leiche mühsam unter dem ausgespülten Ufer hervorgezogen und in der Nähe der Mündung des Mühlkanals, wo sich die Wiese sanft neigte, an Land gebracht.
    Seine Erinnerung an alle Einzelheiten dieses Morgens ließ nichts zu wünschen übrig, doch konnte sie kein Licht auf die Dinge werfen, die in der Nacht geschehen waren. Er kehrte dem hohen Ufer den Rücken und ging über die Brücke zurück.
    Ohne eine bestimmte Absicht zu verfolgen, umrundete er die Mühle und näherte sich der abschüssigen Zufahrt zu den großen Toren der Mühle, durch welche das Getreide hineingebracht wurde. Die Tür war nur durch einen Balken gesichert, der, wie er im schwachen Widerschein des gebleichten Holzes sah, nicht vorgelegt war. Etwas höher war eine kleine Tür, durch die man schnell zur Pforte in der Abteimauer gelangen konnte. Diese Tür konnte von innen verriegelt werden. Aber warum war der schwere Balken zurückgezogen? Doch nur, weil jemand von außen eingedrungen war.
    Cadfael legte die Hand an die verschlossene, aber nicht verriegelte Tür, schob sie eine Handbreit auf und hielt inne. Er legte ein Ohr an den Spalt und lauschte. Drinnen war es völlig still. Er öffnete sie ein Stück weiter und zwängte sich hindurch.
    Dann drückte er die Tür leise wieder zu. Die warmen Düfte von Mehl und Korn kitzelten seine Nase. Sein Geruchssinn war scharf wie der eines Fuchses oder Hundes, und er vertraute sich ihm in der Dunkelheit völlig an. Ja, da war noch ein anderer Geruch, sehr schwach nur, und sehr vertraut. In seiner Hütte hatte er ihn wegen seiner Vertrautheit und ständigen Gegenwart nicht bemerkt, aber hier, an einem anderen Ort, erregte er sofort seine Aufmerksamkeit wie ein Gegenstand, den man ihm gestohlen hatte, und ein teurer dazu, der nicht in fremde Hände kommen durfte. Niemand kann längere Zeit in einer Hütte ein und ausgehen, die vom Duft der geernteten Kräuter gesättigt ist, ohne diesen Duft in den Kleidern mitzunehmen. Cadfael blieb mit dem Rücken an der geschlossenen Tür stehen und wartete.
    Schließlich regte sich etwas, als würde ein Fuß im Staub und in der Spreu behutsam vorgesetzt, ohne das Rascheln völlig vermeiden zu können. Irgendwo über ihm, im oberen Stockwerk. Also war die Luke offen, und jemand beugte sich herunter und verlagerte gerade eben vorsichtig sein Gewicht, um sich fallenzulassen. Cadfael bewegte

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