Mörderische Weihnachten
wegschaffte.
Er hatte Glück und erreichte unangefochten den hinteren Hof, wo auch sein Auto stand.
»Mörderische Weihnachten, Mr. Sinclair!« flüsterte er und freute sich tatsächlich wie ein kleines Kind auf das Fest…
***
Mir ging es verdammt mies!
Auf eine genaue Beschreibung des Zustandes möchte ich verzichten, das habe ich schon oft genug getan, aber ich kam mir vor wie jemand, dessen Kopf man gleichzeitig verlängert und verbreitert hatte. Wo ich genau lag, war nicht festzustellen, aber die Unterlage war zumindest weich. Man hatte mir die Beine an den Körper gedrückt und auch geknickt, damit ich auf der Sitzbank des fahrenden Autos den nötigen Platz hatte.
Genau, ich lag in einem Wagen!
Und war gefesselt!
Nicht nur an den Händen spürte ich den Druck, auch an den Fußgelenken. Wer immer mich gefesselt hatte, er hatte es sehr gründlich getan. Da kam ich aus eigener Kraft nicht so leicht frei. Wohin wir fuhren, war mir unklar. Es war aber nicht zu dunkel, obwohl wir durch Eondons Straßen rollten. Hin und wieder huschte Lichtschein durch das Fahrzeug. Mal hell, mal dunkler, dann wieder farbig und auch gleichzeitig verwaschen.
Es kam mir vor wie eine gespensterhafte Fahrt, als wollte mir der Mann am Steuer noch einmal London zeigen, bevor ich starb. Ich lag gekrümmt auf dem Rücken und blickte durch die Seitenscheiben. Von manchen Hausfronten grüßten riesige Weihnachtsmänner und ebenso große Tannenbäume aus Lichtern.
London in der Vorweihnachtszeit sollte zu meinem Grab werden. Eigentlich wollte ich es nicht, aber ich stöhnte auf, als ich eine etwas zu hastige Kopfbewegung machte.
Das hatte der Fahrer gehört. Er drehte nicht den Kopf, als er mich ansprach und sagte nur: »Wieder wach, Bulle?«
»Sieht so aus.«
»Wie schön. Dann kannst du die Fahrt ja genießen. Bevor du stirbst, wollte ich dir noch einen Gefallen tun. Wer bekommt denn schon die Chance, auf seiner lezten Reise durch das weihnachtliche London gefahren zu werden. Doch wohl niemand, oder?«
»Ich hätte auch darauf verzichten können«, erwiderte ich leise.
Adamic lachte nur. »Das glaube ich. Hier wird nach meinen Regeln gespielt. Ich werde auch für Stimmung sorgen. Auf deiner letzten Fahrt soll dich Musik begleiten.«
Ich hörte, wie er eine Kassette in den Recorder schob. Kurz danach schon hörte ich das Lied.
»I'm dreaming of a white Christmas…« Bing Crosby sang das Lied mit einem nicht zu übertreffenden Schmalz in der Stimme, und Adamic freute sich kindisch.
Er summte die Melodie mit, während ich trotz meiner Kopfschmerzen versuchte, mich von den verdammten Drahtfesseln zu befreien. Adamic war noch human gewesen, er hatte keine blanken Drähte genommen, die manchmal tief wie Messer in die Haut schneiden konnten. Ich hatte meine Beine in den Schacht zwischen Vorder-und Rücksitz sinken lassen. Dort bewegte ich sie, das heißt, ich versuchte es, aber Adamic hatte den Draht so raffiniert um meine Fußgelenke gedreht, daß mir kaum eine Chance blieb.
Vielleicht bei den Händen.
Er hatte sie mir auf dem Rücken gefesselt. Ich lag praktisch mit meinem Körpergewicht auf ihnen und drehte mich erst einmal so, daß ich auf der Seite zu liegen kam.
Das ging besser.
Meine Handgelenke waren wesentlich beweglicher als die der Füße. Ich versuchte alles, konnte sie auch drehen, aber ich bekam kein Drahtende zu fassen.
Ich zerrte und zog. Ein wenig mehr Spielraum bekam ich schon, nur reichte der nicht aus, um mich zu befreien.
Und noch etwas veränderte sich oder hatte sich unbemerkt von mir verändert.
Wir rollten nicht mehr durch den von Weihnachtsreklame erhellten Teil der Riesenstadt, sondern durch ein Viertel, in dem die Dunkelheit vorherrschte und nur vom Schein weniger Laternen durchbrochen wurde.
Befand sich hier unser Ziel? Es war anzunehmen. Je weniger Menschen und je einsamer die Umgebung, um so geringer war die Gefahr einer Entdeckung.
Die Kassette lief weiter. Martin Adamic hatte eine große Palette von Weihnachtsliedern aufgenommen. Auch Songs, die ich nicht kannte, waren dabei.
Ich arbeitete weiter an meinen Fesseln. Unermüdlich kämpfte ich gegen diesen verdammten Draht, den ich bog, dehnte, aber nicht so locker bekam, als daß ich die Hände hätte herausziehen können. Dann riß Adamic den Wagen in eine Linkskurve. Sehr überraschend für mich. Ich verlor das Gleichgewicht, rollte vor und landete zwischen den Sitzen, was dem Fahrer ein leises Lachen entlockte und auch einen spöttischen
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