Mörderischer Auftritt
abgehauen ist. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie entführt wurde.« Ich berichtete erneut von meiner Unterhaltung mit Bernice Armstrong.
»Ein wildes Tier?« Schwesterherz hatte aufgehört, ihren Joghurt zu löffeln.
»Sie haben einen Grizzlybären mit Namen Maurice in ihrer Eingangshalle?« Tammy Sues Tee verharrte auf halbem Weg vor ihrem Mund.
»Er lag am Boden, als habe es einen Kampf gegeben.« Ich machte eine Pause. »Und das ist ein großer, schwerer Bär.«
»Mensch, warum hast du mir das denn nicht eher erzählt, Maus?«
»Ich weiß nicht. Du hast mir von Mama und den Lucky Strikes berichtet, und danach war ich geistig woanders.«
Der Joghurt und der Tee setzten ihre Reise fort. Mary Alice und Tammy Sue sahen mich an, als hätte ich michirgendwie schuldig gemacht. Ich nahm meinen Tee in die Hand und blickte wieder hinaus auf den Verkehr. Ein weißes Polizeiauto bremste am Bordstein, und eine schwarze Polizistin stieg aus. Bo Mitchell? Meine gute Freundin, die mich hatte verhaften lassen.
Nun, du hattest eine Mordwaffe in deiner Tasche, Patricia Anne , sagte ich zu mir selbst.
Das ist nicht von Bedeutung. Sie kennt mich gut, und sie wusste, dass ich nichts mit einem Mord zu tun hatte.
Aber Gesetz ist Gesetz, und du weißt, dass Bo nicht eines davon zu brechen gewillt ist. Schließlich hat sie vor, irgendwann Polizeichefin zu werden.
Aber sie haben mich festgenommen! Mir wie einer Verbrecherin Handschellen angelegt. Meine Nachbarn haben mich gesehen.
Oh, das haben sie nicht. Niemand hat auf dich geachtet. Die meisten in diesem Viertel können ohnehin nicht weiter sehen als drei Meter.
Ich bemerkte, dass Schwesterherz und Tammy Sue mich anstarrten.
»Sie hat diese dissoziativen Störungen«, erklärte Schwesterherz. »Sie wandert dann geistig zum Haushaltswaren-Schlussverkauf in Geschäfte wie das Bed Bath & Beyond.«
»Was kaufen Sie denn, Mrs Hollowell?«, fragte Tammy Sue freundlich.
»Ich war nicht beim Schlussverkauf. Ich habe nachgedacht.« Ich zeigte aus dem Fenster. »Ich glaube, ich habe gerade Bo Mitchell hereinkommen sehen.«
Schwesterherz leckte ihren Löffel ab. »Die stünde, wenn ich du wäre, auf meiner Liste.«
»Sie hat nur getan, was sie tun musste.« Ich trank meinen Tee und sah hinaus ins Sonnenlicht und auf den Verkehr, auf die Menschen, die die Straße hinuntereilten, und dieKrankenwagen, die an der Notaufnahme hielten. Plötzlich sehnte ich mich nach der Robert Anderson High School, in der ich einen Großteil meines Lehrer-Daseins verbracht hatte und die in den 1960er-Jahren ohne Fenster gebaut worden war. Die Jahreszeiten wechselten, es regnete, es schneite, und wir saßen geschützt in diesem Mutterleib. Dort war ich nicht über eine einzige Leiche gestolpert. Ich seufzte. Heute gäbe es gebackenes Hähnchen in der Schulkantine. Ich hatte eine Menge gutes Cholesterin an der Robert Anderson zu mir genommen.
Mary Alice und Tammy Sue waren zu den Hochzeitskleidern übergegangen, was mich aus irgendeinem Grund daran erinnerte, dass ich Haleys Taufkleid heraussuchen und nachschauen musste, ob es in einem einwandfreien Zustand für Joanna war. Aber wollte Philip Joanna überhaupt taufen lassen? Er würde sicher nichts dagegen haben. Schließlich hatte er sich sehr darüber gefreut, vom Papst gesegnet zu werden.
»Hast du Debby eigentlich taufen lassen?«, fragte ich Schwesterherz.
Sie sah mich überrascht an. »Natürlich habe ich das. Weißt du das nicht mehr? Sie hat auf den Priester gekotzt.«
»Das war Debbie? Welche Taufe war es, als es diesen Hagelsturm gab und wir dachten, dass gleich die Fenster zerschlagen würden?«
»Ich weiß nicht. Alans?«
»Hat dein Philip nichts dagegen gehabt, Debbie taufen zu lassen?«
»Natürlich nicht.« Sie wandte sich an Tammy Sue. »Mein zweiter Mann, Philip Nachman, Debbies Vater, war Jude. Ein ganz reizender Mann. Patricia Annes Tochter Haley ist mit seinem Neffen, ebenfalls einem Philip Nachman, verheiratet.«
»Du hast ihm gar nicht erzählt, dass du sie hast taufen lassen, stimmt’s?«
»Himmel, Maus. Wir reden gerade über wichtigere Dinge.«
Sie hatte es ihm nicht erzählt.
Bo Mitchel kam in die Cafeteria, steckte Geld in einen Verkaufsautomaten und zog eine Dose Cola heraus. Als sie sich umdrehte, entdeckte sie uns und kam verlegen lächelnd zu uns herüber.
»Tut mir leid, Patricia Anne«, sagte sie.
»Das ist Ihr Job.«
»Was für ein Job«, murmelte Schwesterherz.
»Manchmal«, sagte Bo, ohne
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