Mörderisches Musical
aus und schnickte die Stiefeletten weg. Die Barre lockte. Sie
legte die Kassette mit den Goldberg-Variationen in den Ghettoblaster. Sie
begann mit battements tendus, ging von simples zu grandes
jetés, bis sie spürte, daß sich ihr Gleichgewicht wieder einstellte. Es war
prima, daß ihr Körper immer noch auf die Bewegungen reagierte.
Sie hob den Pullover und die Stiefel auf, wo sie
sie hingeworfen hatte, ging durch den kurzen Gang zum Schlafzimmer und legte
alles weg.
Das Schlafzimmer war ebenfalls vollkommen
renoviert und neu eingerichtet worden. Es sah aus, als hätte sie es aus einem
englischen Landhaus mitgehen lassen. Alton war dabei gewesen, als sie alles
gekauft hatte, doch die endgültige Version kannte er nicht. Aus Gründen, die
sie nicht in Worte zu fassen vermochte, verbrachte sie die Wochenenden in
Altons Wohnung im Beresford in der 81. Street und die Wochentage solo in
ihrem ganz privaten Reich.
Seit acht Monaten traf sie sich mit Alton
Pinkus, und er schien mit ihrer Beziehung zufrieden, jetzt, wo Silvestri von
der Bildfläche verschwunden war. Wenigstens drängte er sie nicht, die Bindung
enger zu gestalten.
Alton war zwanzig Jahre älter als Wetzon. Er
hatte drei erwachsene Kinder und war seit fünf Jahren Witwer. Zwar war er nicht
mehr berufstätig, verfügte aber über eine stattliche Pension und Anlagen, und
wegen seiner Sachkenntnis in der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung wurde er
oft als Berater zugezogen, besonders seit dem Zerfall der Sowjetunion. Sein
Ruhm hatte sogar auf sie abgefärbt, und sie stellte fest, daß es ihr gefiel.
Nach einer heißen Dusche und einem kalten Guß
wickelte Wetzon den Kopf in ein Handtuch, den Körper in ein großes Badetuch und
ging in die Küche, um nach dem Anrufbeantworter zu sehen. Zwei Nachrichten. Sie
spielte sie ab. Carlos. Detective Bernstein.
Carlos nahm beim ersten Klingeln ab.
»Sag mal, hast du auf dem Telefon gesessen?«
»In der Nähe, Häschen...«
»Wie geht es dir...« Sie hatten gleichzeitig
geredet und brachen beide ab. »Es tut mir leid...«
Carlos sagte: »Um deine Frage zu beantworten,
ich weiß es nicht. Ich mußte einfach reden. Ich bin mit Bernstein und seinem
Schatten hinaufgegangen, um mit Susan Orkin zu sprechen...«
»Susan Orkin? Was hat sie damit zu tun? Die
einzige SusanOrkin, die ich kenne, ist die, die mit unserem schönen, etwas
zurückgebliebenen Abgeordneten Greg Orkin verheiratet ist.«
»War.«
»War?«
»Verheiratet war. Weißt du noch, als Greg
vor sechs oder sieben Jahren sein Coming-out hatte?«
»Ja.«
»So, und dann kam heraus, daß Susan und Dilla
seit der High-School liiert waren.«
»Du machst Witze!«
»Denkst du. Sie haben seit fast sechs Jahren
zusammengelebt.«
»Ich weiß nicht, warum mich das überrascht. Ich
wußte immer, daß Dilla lesbisch ist — oder wenigstens bi.«
»Laß dir von mir sagen, sie war nichts anderes
als lesbisch«, sagte Carlos. »Alles andere war für den Profit. Von Männern ließ
sie sich nur vögeln, um voranzukommen.«
Wetzon kicherte. »Ich bin nur froh, daß ich das
nicht gesagt habe.«
»Und du sagst, ich bin schlimm.« Doch der Funke
fehlte. Carlos hörte sich bedrückt an.
»Wann kommt Arthur zurück?«
»Morgen.«
»Möchtest du, daß ich rüberkomme und dich in die
Arme nehme und über Nacht bleibe?«
»Ja, oder besser nein. Susan hat es schwer
getroffen. Sie ist ziemlich zart, glaube ich, oder vielleicht sieht sie auch
bloß zerbrechlich aus. Sie hat so eine durchscheinende Haut, daß man die blauen
Äderchen durchsieht. Ich konnte immer nur denken, wenn Arthur irgend etwas
zustoßen würde...«
»Ach, Carlos. Ich komme sofort rüber.«
»Nein! Schlafe lieber. Ich liebe dich. Ich
spreche morgen mit dir.« Er legte auf, bevor sie noch ein Wort sagen konnte.
Wetzon starrte auf den Hörer in ihrer Hand, dann
legte sie auf. Sie tappte ins Bad und hängte die nassen Tücher auf. Eine tiefe
Traurigkeit überkam sie, und sie versuchte nur halbherzig, sie abzuschütteln.
Sie massierte Feuchtigkeitscreme ein und kämmte ihr Haar, schaute angestrengt
in den Spiegel, während ihre Fingerspitzen die winzige Vertiefung unmittelbar
über dem Haaransatz suchten und fänden. Das Haar war um die Ränder
nachgewachsen, doch sie würde sich nie mehr kämmen, ohne sich an das sengende
Licht, den Knall, den Pulvergeruch zu erinnern. Unwillkürlich schauderte es
sie. Sie fror.
Im Schlafzimmer begann sie, Schubladen
aufzuziehen, suchte nach einem Nachthemd und
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