Mörderisches Musical
Maschine. Nie gab es
Pannen.«
Seine fleischige, von Leberflecken übersäte Hand
umklammerte den Griff des Spazierstocks. Durch seine dicken Finger sah sie
einen geschnitzten hölzernen Schädel. »Du bist ein braves Mädchen.«
Sie stellte fest, daß es ihr nichts ausmachte,
von Fran ein braves Mädchen genannt zu werden, denn das traf ja zu. Als sie vom
Broadway in die 45. Street einbogen, bestätigte eine Neonreklame nach der
anderen die Tatsache, daß der Broadway mit der aktiven und von viel Reklame
begleiteten Beteiligung der Engländer und erfolgreichen Musicals wie Cats,
Phantom, Miss Saigon und Les Mis durchhielt.
»Hallo, Fran!« Fran wurde von zwei kräftigen
Bühnenarbeitern gegrüßt. Beide kamen Wetzon bekannt vor.
In der Shubert Alley wurde ein Bus beladen.
Abgenutzte Gepäckstücke jeder Art, von schmuddeligen Matchsäcken bis Louis
Vuitton, wurden an der offenen Seite des Busses übereinandergestapelt, und der
Fahrer, der eine blaue Kappe und eine ärmellose Daunenjacke über einem
Marinepullover trug, stritt sich mit einem Tänzer, der einen champagnerfarbenen
Pudel an einer Leine führte. Der Pudel kläffte unaufhörlich. Er bekam Antwort
von einem besonders reizbaren Yorkie im Bus, der seine winzige Schnauze durch
einen Fensterspalt streckte.
Fran Burke nahm die Sache sofort in die Hand. Im
Handumdrehen war alles geklärt und geregelt. Frieden und Ordnung waren
wiederhergestellt.
Wetzon schaute zu, wie Darsteller und anderes
Theaterpersonal in den Bus stiegen, ausstiegen, dann wieder hinein, manche mit
zugedeckten Pappbehältern voller Kaffee oder Tee. ^lit jedem Atemzug sog sie
einen Hauch von Nostalgie in die Lunge. Die Hotshot -Truppe packte für
Boston, und Fran brachte sie hin. Doch Leslie Wetzon, Tänzerin, war nicht
dabei.
»Fran, hör dir das an, Avery will zwei
Sitzplätze für sich...« Wetzon erkannte eine der Schauspielerinnen, die am
Samstag mit Carlos im Theater gewesen war. Sie blieb stehen und starrte Wetzon
an, und Wetzon dachte: Glaubt sie, ich springe für jemanden ein? Sie
erinnerte sich auch an diese Gefühle. Sie gehörten nicht zu dem Teil des
Showbusineß, den sie vermißte.
»Laß ihn.« Fran zwinkerte Wetzon zu. Die
Schauspielerin zuckte die Achseln und stieg wieder in den Bus.
Eine Limousine bog in die Shubert Alley. Sie
fuhr vorsichtig am Bus vorbei, um vor der Tür zu den Büroräumen der Shubert
Organization zu halten. Drei Männer stiegen aus, von denen Wetzon einen als
Cameron Macintosh erkannte, den englischen Produzenten. Sie wurden gleich
darauf von Ber-nie Jacobs, dem Präsidenten der Shubert Organization, begrüßt
und gingen in Richtung Shubert Theatre, wo immer noch Crazy for You gesungen und getanzt wurde.
»Entsetzlich, das mit Dilla«, sagte Wetzon. Sie
fröstelte. Fran nahm ihren Arm und führte sie in die Vorhalle des Booth, das bequemerweise an der Ecke Shubert Alley und 45. Street lag.
Fran brummte. Er schob seine Zigarette mit
zusammengepreßten Lippen in den anderen Mundwinkel. Weder Trauer noch Freude
zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. »Es ist ein Wunder, daß es nicht früher
passiert ist.«
Wetzon horchte auf. Bewußt beiläufig fragte sie:
»Warum sagst du das?«
Frans wäßrig blaue Augen nahmen einen
abweisenden Ausdruck an. »Sie spielte ständig einen gegen den anderen aus.« Er
machte eine wegwerfende Bewegung, während er wachsam das Treiben um den Bus
beobachtete. »Verdammt, was soll’s. Dilla hat immer bekommen, was sie
wollte...bis Samstag-Glaub mir, ich habe Lenny gewarnt, ihr nicht zu trauen...«
»Lenny?« Wer zum Teufel war Lenny?
»Vergiß es. Es ist lange her. Wir nehmen Phil
mit, und er ist ein anständiger Junge. Das geht in Ordnung.«
Gut, wenigstens wußte sie, daß er von Phil
Terrace sprach. »Ja, er scheint ein netter Kerl zu sein. Meinst du, er kommt
mit der Show klar?«
Fran lächelte grimmig. »Wir werden ihm alle
helfen, darauf kannst du dich verlassen.« Er klopfte ihr auf den Rücken und
öffnete die Tür der Halle. »Ich muß die Show auf den Weg bringen.«
»Ich bin zur Premiere oben, Fran.«
»Prima.« Seine Aufmerksamkeit war bei der
Aufgabe des Augenblicks, nämlich seine Truppe in Bewegung zu setzen. Er hielt
die Tür auf, um einen schneidenden Windstoß und eine Frau mit Nerzmantel und
riesigen goldenen Ohrringen hereinzulassen. Sie bedankte sich und ging zur
Kasse weiter, um Karten für Someone Who’ll Watch Over Me zu kaufen.
Das Thermometer fiel rapide. Die Hände in den
Taschen
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