Mörderisches Musical
offensichtlich, als er sie überschwenglich umarmte, von sich
hielt, um etwas in ihrem Gesicht zu suchen, dann wieder an sich drückte.
Ärgerlich machte sie sich von Carlos los. »Du
hast es ihm gesagt«, beschuldigte sie Silvestri.
Silvestri hatte seinen Stuhl zurückgeschoben und
war aufgestanden, so daß sie zu ihm aufschauen mußte. Die verschiedensten
Emotionen schwirrten in ihr. Sie fühlte sich, als hätte sie vergessen, die
Weißwäsche vom Bunten zu trennen. »Das ist nicht fair von euch. Dazu habt ihr kein
Recht.« Sie war den Tränen so nah, daß sie selbst erschrak.
»Les«, begannt Silvestri, vermutlich
liebenswürdiger, als sie verdiente, »wir haben nicht von dir gesprochen.« Er
schob seine Hände in die Taschen und setzte sich.
»Das stimmt.« Carlos’ dunkle Augen funkelten
schon wieder ein wenig. Er zog einen Stuhl von einem freien Tisch bei. »Setz
dich, Herzblatt, und erzähle Carlos genau das, was er nicht wissen soll.«
Er hörte sich so aufrichtig an, daß Wetzon sich
wie ein ungezogenes Kind fühlte und nachgab. Sie kaute auf den Lippen, spürte,
daß sie schon aufgesprungen waren, ln ihrer Handtasche kramte sie nach
Lippenbalsam, geriet dabei in zunehmende Nervosität, die sie nicht
kontrollieren konnte. Als sie die Tube fand und aufsah, ertappte sie Silvestri und
Carlos, wie sie sich durch Blicke verständigten. »Hab’ ich dich«, sagte sie.
Sie redeten nicht über sie? Klar. Sie konnte auf sich selbst aufpassen.
»Wir haben von Dilla gesprochen, Häschen.«
Carlos warf einen Blick auf die Uhr. Hinter seinem Stuhl standen ein weicher
Bordcase aus Leder und eine dazu passende große Umhängetasche.
»Was meint der Leichenbeschauer?« Sie bemerkte
Silvestris Ärger an der steifen Haltung seiner Schultern. »Ich stecke mit drin,
Silvestri, bis zu den Ohren. Du kannst mich nicht heraushalten. Ich kenne alle
Akteure besser als du. Außerdem war ich dabei, als Dillas Leiche gefunden
wurde.«
»Was soll das nutzen, verdammt noch mal, wenn du
das weißt? Du bekommst nur noch mehr Streß zu den Problemen, die du ohnehin
schon hast.«
»Ich habe keine Probleme«, erwiderte sie
arrogant. »Und vielleicht könnte ich helfen.«
»Ach ja? Und wann hast du deine Dienstmarke
bekommen?«
»Bitte, Kinder, spielt schön miteinander. Papi
verreist für ein Weilchen — er muß für seinen Lebensunterhalt tanzen — , und er
möchte gern sicher sein, daß seine Kleinen sich nicht gegenseitig umbringen,
solange er fort ist.«
Silvestri gab zuerst nach, und Wetzon empfand
das prickelnde Gefühl des Sieges. »Das Opfer war mit Erbrochenem bedeckt.«
»Phil Terrace mußte sich übergeben, als er sie
sah. Ich habe ihn gehört.«
»Ja, soweit also haben wir einen Mord durch
mehrfache Hiebe mit einem stumpfen, zylindrischen Gegenstand.«
»Dann wurde sie mit einem Stock oder Rohr
erschlagen?«
»Möglich.«
»Manchmal«, grübelte Wetzon laut, »hatte der
Kassenleiter einen Polizeiknüppel im Kassenraum.«
»Mein Häschen ist so clever!«
Wetzon sah Carlos verächtlich an. Er benahm sich
insgesamt zu schmeichelhaft, als wollte er ihr den Rücken stärken. Sie warf ihm
einen, wie sie hoffte, vernichtenden Blick zu, doch er kniff nur spöttisch ein
Auge zu.
»Okay.« Silvestri kritzelte etwas in sein
Notizbuch.
»Du hast gesagt, Schläge?« fragte Carlos
nachdenklich.
»Ihr Schädel wurde eingeschlagen und sie für tot
liegengelassen.«
»Ein Verbrechen aus Leidenschaft?« Wetzon winkte
der Kellnerin, einer großen, korpulenten Frau in engen Hosen und
Cowboystiefeln. Um den Hals hatte sie lose einen knallroten Schal gebunden.
Wetzon verspürte plötzlich einen Bärenhunger. »Kann ich einen Schoko-Milkshake
haben?«
»Sie kannte ihren Mörder«, fuhr Silvestri fort.
»Jeder, der Dillas Bekanntschaft gemacht hat,
wollte sie irgendwann umbringen. Sogar Susan«, sagte Carlos.
»Du meinst Susan Orkin?« Silvestri hielt den
Kuli in Bereitschaft.
»Susan? Wirklich?« fragte Wetzon. Auf dem
College war Susan immer ein freundlicher Mensch gewesen, immer auf der Suche
nach einer vierten fürs Bridge. Genaugenommen war Susan eine aggressive
Spielerin gewesen, mit dem starken Drang zu gewinnen. Aber schließlich, dachte
Wetzon, verhalten sich alle so beim Bridge.
»Ich will nicht aus der Schule plaudern, aber
Dilla war ein ziemliches Luder. Sie hat es überall probiert, und die sexuelle
Ausrichtung spielte kaum eine Rolle.« Carlos blickte in seinen fast leeren
Becher. »Dilla zu kennen bedeutete,
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