Mörderisches Musical
Browning sich ihm
gegenüber benommen hat?«
»Diese Nutte?«
»Smith! Du kennst sie doch gar nicht.«
»Er würde keinen zweiten Blick an sie
verschwenden.«
»Lassen wir’s.« Wetzon wandte sich ab, holte das
Budgetmaterial zu Hotshot aus ihrer Handtasche und ließ es auf den Tisch
fallen. Geistesabwesend schlug sie die Seite um und kam zu der Aufstellung der
Gewinnanteile und der wöchentlichen Betriebskosten der Show. >Es wird
veranschlagt, daß die wöchentliche Bruttoeinnahme bei einem Theater mit 1500
Sitzplätzen und einem durchschnittlichen Kartenpreis von 45 Dollar sich auf 600
000 Dollar beläuft.« Ha! Und wenn die Parterreplätze von 65 Dollar an aufwärts
kosten würden? Kein Wunder, daß das Theater starb. Ihr Blick wanderte über die
ersten Namen und Zahlen auf der Liste:
Morton Hornberg, Regisseur:
4%
Aline Rose, Librettistin:
4%
Sam Meidner, Komponist:
4%
Carlos Prince, Choreograph:
3%
Dilla Crosby, Koproduzentin:
2%
Morton Hornberg, Produzent:
2,5 %
Als sie zum siebten Namen kam, blinzelte sie und
sah noch einmal hin. Mit halbem Ohr hörte sie Smith hinter sich etwas über Mort
Hornberg sagen, aber es drang nicht durch.
Der letzte Name auf der Tantiemenliste war Susan
Orkin.
Fran
Burke würde niemals wegen seines Vornamens fälschlich für eine Frau
gehalten werden. Er war auf Francis Xavier getauft worden, doch jeder nannte
ihn Fran, zumindest seit er beim Theater war. Er war ein Roadmanager, der
darauf spezialisiert war, Gastspielreisen und Probevorstellungen zu
organisieren. Obwohl von Arthritis geplagt und auf einen Stock angewiesen, war
Fran mit siebzig noch immer auf Draht. Es hieß, daß Fran den Schwarzmarkt mit
Theaterkarten in der Hand hatte.
Nicht zum erstenmal wunderte sich Wetzon
darüber, daß man ihre zwei Berufe als »The Street« bezeichnete — einmal war es
der Broadway, das andere Mal die Wall Street. Und die Ähnlichkeiten hörten hier
nicht auf. In beiden gab es Produzenten und Manager — Stars mit ungeheuren
Egos. Der robuste, verläßliche, gewerkschaftlich organisierte
Schauspieler/Tänzer konnte sein Ebenbild in dem ehrlichen,
verantwortungsbewußten Makler der Wall Street finden. Und Wetzon wußte, daß es
am Broadway beinahe ebenso viele Möglichkeiten des Betrugs gab wie in der
anderen »Street«. Gewinnabschöpfung, Schmiergelder und gefälschte Zahlen fielen
alle in dieselbe Rubrik.
In ihrer Verwirrung über Susan Orkins Namen auf
der Tantiemenlisle der Hotshot -Truppe hatte sie den Mann mit dem Stock
nicht wahrgenommen, bis sie mit ihm zusammenstieß, »Oh, Entschuldigung, tut mir
leid«, stotterte sie, dann erst merkte sie, daß es Fran Burke war, und er
begrüßte sie mit einem großen, breiten Lächeln, das schwindendes Zahnfleisch
und nikotinverfärbte Zähne entblößte.
»Leslie Wetzon! Wo hast du gesteckt, Mädchen?
Ein paar Kinderchen aufgezogen?« Er drückte ihre Hand und faßte sie zärtlich
unters Kinn. Fran trug einen zerknitterten blauen Anzug unter seinem schwarzen
Regenmantel, und kein Hut bedeckte sein dickes gelblichweißes Haar, das er
straff zurückgekämmt hatte. Einmal vor langer Zeit, als Company in
Chicago gelaufen war, hatte er Wetzon nicht die Gage gekürzt, obwohl sie eine
Vorstellung wegen eines verstauchten Knöchels versäumte. »Du gehörst zur
Familie«, hatte er gesagt, als sie sich bedankte.
»Nee«, sagte sie jetzt. »Ich bin immer noch
solo, Fran, verdiene bloß eine Menge Geld mit meiner Firma.«
»Komm, begleite mich zur Shubert Alley.«
Erwartete nicht ab, bis sie es sich überlegt hatte, sondern nahm sie fest am
Ellenbogen. »Stimmt, dein Kumpel Carlos hat so was gesagt.« Wetzon wußte, daß
Fran zu der Generation gehörte, die Karrierefrauen nicht mochte. Oh, es war
schon in Ordnung, wenn ein junges Mädchen theaterbesessen war, aber sobald die
Begeisterung nachließ, sollten Frauen heiraten und Kinder haben. Fran hatte
zwei Frauen überlebt, an die Wetzon sich erinnerte. Seine dritte befand sich in
einem Pflegeheim in Spring Lake, und er lebte jetzt mit einer Frau zusammen,
die in den sechziger Jahren Sekretärin eines Produzententeams am Broadway
gewesen war. Nun musterte er sie von Kopf bis Fuß. »Du siehst keinen Tag älter
aus, Leslie.« Trotz seines Zustandes führte er sie in einem ziemlich strammen
Tempo.
»Fran, du bist ein prima Kerl. Wie immer. Es war
herrlich, wenn du uns begleitet hast. Auf einer Tournee mit dir als Manager
fühlte man sich wie ein Rädchen an einer gut geölten
Weitere Kostenlose Bücher