Mörderisches Musical
Wetzon damit bedeuten? Ah,
vielleicht sollte sie nachsehen, welcher Name auf der Rechnung stand. Sie
steckte aufrecht zwischen einem leeren Weinglas und einem beschlagenen
Edelstahlkrug mit kaltem Orangensaft.
Als Wetzon versuchte, einen unauffälligen Blick
darauf zu werfen, machte sich jemand drinnen an der Tür zu schaffen. Die
Stimmen wurden lauter. Jetzt erkannte sie auch Morts Stimme. In der Verwirrung
schnappte Wetzon die Rechnung. Sie war auf Mort Hornberg ausgestellt. Sie legte
sie wieder auf den Wagen und murmelte: »Ich glaube, Sie haben das...«
Ein wütender Schrei unterbrach sie, dann folgte
ein durch Mark und Bein gehender Schlag, laute Rufe, dann ein unheilvolles
Rums-Rums-Rums...
Der Kellner stieß die Türen auf und ließ den
Zigarrenrauch entweichen. »Oh, entschuldigen Sie.« Er machte ein erschrockenes
Gesicht.
»Verschwinde hier!« schrie jemand.
»Mort, bist du wahnsinnig? Laß mich los!«
»Mort, laß ihn los !« Das hörte sich nach
Joel Kidde an.
Der Kellner kam aus dem Zimmer gestolpert. Er
stand verwirrt auf dem Flur, wußte nicht, ob er laufen und Hilfe holen oder
warten und die Rechnung abzeichnen lassen sollte.
»Au!« Das war Carlos, und das genügte Wetzon,
den Kellner beiseite zu stoßen und ins Zimmer zu stürzen. Niemand würde ihrem
Carlos etwas antun.
Noch ehe sie etwas sehen konnte, spürte sie den
Wind. Er blies wie ein Hurrikan durch ein offenes Fenster und zerrte an den
Vorhängen. Das Zimmer war eisig. Sie sah sich schnell um, versuchte zu
verarbeiten, was sich abspielte. Hinter ihr schrie Smith.
Dann sah sie, wie Joel Mort von jemandem wegriß
— mein Gott, Carlos. Beine. Das war alles, was sie von Carlos sah. Der Rest von
ihm hing aus dem Fenster, fünf Stockwerke über der Newbury Street.
Wetzon
erinnerte sich später nie so ganz, wie sie Carlos retteten. Woran sie sich
deutlich erinnerte, war Smith’ schriller Schrei, Joels verzweifelter Kampf mit
Mort, mahnende Rufe von jemandem, »nein, nein!«, und Carlos’ strampelnde Beine.
Und die scharfe Kälte. Etwas später kam ihr der heimliche Verdacht, daß es
Smith gewesen war, die Mort einen kräftigen Schlag auf seine vorige Wunde gab,
worauf er Carlos gerade lange genug losließ, daß sie selbst Carlos am Gürtel
fassen und hineinziehen konnte. Sie hatte eine vage Erinnerung, ihn schlotternd
und plappernd in den Armen gehalten zu haben. »Gut in Form, gut in Form.«
Sie sah das Blut aus Carlos’ Gesicht weichen,
und er sackte zusammen und riß sie mit auf den Teppich. Mort trampelte brüllend
durchs Zimmer, hielt sich den Kopf an der Seite, wies Joel ab, der hilflos auf
ihn einredete: »Na, komm, beruhige dich, alter Kumpel!«
»Kann mal jemand das verdammte Fenster
zumachen!« hörte Wetzon sich schreien. Sie hielt Carlos in den Armen, drückte
seinen Kopf an die Brust.
»Häschen, du zerreißt mir das Trommelfell«,
krächzte er. Langsam bekam sein Gesicht wieder Farbe.
Undeutlich hörte Wetzon jemanden an die äußere
Tür hämmern. Niemand im Zimmer nahm es zur Kenntnis.
Das Fenster wurde mit einem lauten Knall
geschlossen, und die Gardinen und Vorhänge wurden von jemandem mit langen,
schlanken Beinen in einer Donna-Karan-Strumpfhose zugezogen. Smith.
»Na«, sagte Smith, während sie sich die Hände
abwischte, »unterhaltsam ist das Showbusineß wirklich.« Sie schlenderte auf die
Tür zu. »Komme gleich«, rief sie mit Schwung in der Stimme, als wäre alles in
bester Ordnung und sie empfinge Gäste.
Carlos rappelte sich auf die Knie hoch und
schüttelte den Kopf wie ein angeschlagener Boxer.
Wieder hämmerte es gegen die Tür. »Was nicht in
Ordnung da drin?«
Irgendwo in der Nähe hörte Wetzon eine andere
Tür zugehen. Joel war es irgendwie gelungen, mit viel Geduld und »alter Kumpel«
Mort ins Schlafzimmer zu schaffen. Als sie sich umschaute, stellte sie fest,
daß sie sich in einem großen Wohnzimmer mit mehreren Sofas und Sesseln
befanden.
Smith stellte einen umgekippten Stuhl auf,
rückte einen Beistelltisch gerade. Das hektische Klopfen an der Tür hielt an.
Smith schaute sich prüfend im Zimmer um. Als sie die Doppeltüren aufmachte,
waren Wetzon und Carlos auf den Beinen, und das Zimmer sah aufgeräumt aus.
»Ja?« fragte Smith, die Unschuld in Person.
Sicherheitsdienst des Hotels — ohne jeden
Zweifel. Ein Mann mit breitem Brustkasten und schlechtgelauntem Blick musterte
sie mißtrauisch. Er trug einen braunen Anzug, und für den Laien hätte er als
Geschäftsmann durchgehen
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