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Mörikes Schlüsselbein

Mörikes Schlüsselbein

Titel: Mörikes Schlüsselbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Martynova
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widerstehen kannst. Einfach weiter gehen. Die Straße, der Mond, vor dir blinken Kiesel, Stern spricht zu Stern. Die zu dieser Stunde seltenen Autos spielen mit deinem Schatten, als bräuchten sie Zerstreuung auf ihrem monotonen Weg. Dein Schatten wird lang, wird kurz, wird dick, wird dürr, wirft sich zur Seite, als wolle er weg ( Halt – oder ich schieße! ). Fuck, Telefon, ja, nein, oh nein, shit, gut, klar, morgen um sieben Uhr, Helikopter am selben Platz wie voriges Mal, klar, Colonel, bis morgen in New York.
    Taxi, wo nehm ich ein Taxi hier, wo bist du jetzt, Beth, mit deinem Auto, du trinkst wohl schon Kakao bei deinen Eltern, in diesem Kaff, ab dessen Ortsgrenze ich gehofft hatte, ein paar Wochen einen ungebundenen Menschen spielen zu können: kein Auto, keine Studenten, keine Professoren, keine Slawistikinstitutssekretärin, die siebzehn und vier mit einem Taschenrechner addiert. Eine Weile kann man (d.h. ein von allen Seiten immer dichter erfasster Mensch) in diesem Land (und überhaupt) immer noch einen freien Menschen spielen, wenn man Geld hat und sonst aus staatlicher Sicht alles geregelt ist.
    Vor hundert Jahren dummen Lebens hatten sie in der Schule einander gefragt, in welchem Jahrhundert man gerne geboren wäre. Alle hatten ihre Wünsche: Im 19.: ein Revolverheld werden oder zu den ersten Luftballonreisenden gehören; im 17.: als Pirat reiche Schiffe mit schicken Frauen kapern; um die Zeitenwende: einem wandernden Prediger folgen oder selber einer sein. Nichts Auffälliges. Er sagte damals, er wolle in die Zukunft: Raumschiffkapitän werden. Hätte man ihn jetzt gefragt (irgendwann will niemand mehr solche Dinge von dir wissen – je mehr man zu erzählen hat, desto weniger wird man gefragt), hätte er gesagt, dass er, hätte er wählen können, seine Geburt in die Vergangenheit versetzt hätte, aber nur um 20 Jahre, damit seine Jugend in die Zeit von den frühen 50ern bis zur Mitte der 60er gefallen wäre, so, dass die Hinrichtung der Rosenbergs und der Koreakrieg schon vorbei gewesen wären und der Vietnamkrieg noch nicht wirklich begonnen hätte. Was hätte er alles machen können. Kreuz und quer das Land durchstreifen, Charlie Parker für Buddha halten, Burroughs lesen, Fellini träumen, kiffen, Liebe, nicht Krieg machen (noch ohne von diesem Appell zu wissen) und – vielleicht hätte er glücklicher gelebt? Und – die Hauptsache – vielleicht müsste er jetzt nicht ein Taxi suchen, bloß weil er vor 30 Jahren seine Abenteuerlust falsch gedeutet hatte. Gut, aber was nun? Trampen? Kein Auto mehr da. Laufen? Es wären wohl fünf Stunden zu Fuß, nicht schlimm, er hatte sowieso bis zum Morgengrauen laufen wollen. Oder lieber zurück zur Siedlung? Besser zurück zur Siedlung. Lichter trüb wie der Mond im Nebel, eine Kneipe, ein Taxi, TAXI!
    »Sorry, ich kann Sie nicht nehmen, verstehen Sie, ich habe nur eine Lizenz für X…town, habe einen von dort gebracht, und hier kann ich keinen nehmen, sorry, wirklich nicht.«
    »Warten Sie, ich werde Sie nach X…town fahren. So werde ich kein Kunde sein, wenn es dazu kommt, werden wir sagen, ich sei ein Freund. Poshalujsta, otschen’ nado «, fügte John sein »bitte-bitte« auf Russisch hinzu, weil der Fahrer einen starken russischen Akzent aufwies.
    »Na gut, Landsmann, ich darf das natürlich nicht, klar. Aber ich fahre dich, in Ordnung. Falls es wirklich dazu kommt, sagst du, du seiest in X…town eingestiegen, für hin und zurück, und du zahlst natürlich auch für hin und zurück«, antwortete der Fahrer auf Russisch.
    John nannte die Adresse und schloss die Augen. Aber dem vermeintlichen Landsmann war nach Unterhaltung.
    »Du sprichst aber klasse Englisch! Schon lange in den States?«
    John checkte ein paar Varianten durch und erzählte eine Story über einen amerikanischen Großvater, der Kommunist war und nach dem Spanischen Bürgerkrieg in der Sowjetunion zuerst in einer Komintern-Zeitschrift arbeitete, dann ins Lager geschickt wurde, wo er eine Russin heiratete, und wie die Familie zur Tauwetterzeit in das Großvaterland zurück durfte.
    AUFTRAG
    »Folgendes, Mister Green« (John hatte seinen Decknamen nie gemocht), sagte der Colonel: »Im Jahr 1988 hatten Sie eine Erfahrung mit dem auf den Hochebenen im Südosten der ehemaligen Sowjetunion eventuell verbreiteten Bigfoot. Wir haben Ihre Berichte gelesen und hätten diesbezüglich ein paar Fragen an Sie.«
    Sie spinnen, dachte John, in der Welt ist sonst was los, und sie wollen die

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