Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
zusätzlich und versenkte sie mitsamt Margareta van Buuren wieder und wieder und wieder ... Er machte damit alles noch schlimmer. Schließlich hielt er es nicht mehr aus, ließ sie an eine Stelle bringen, die permanent unter der Wasseroberfläche lag, und holte sie nicht mehr an die Oberfläche. Damit begann es. Denn Margaretes Schreie, ihr Flehen und Fluchen endeten nicht. Unheimliche Dinge geschahen und Joos wurde Nacht für Nacht um den Schlaf gebracht. Es steht alles so in seinem Tagebuch. Er hat fürchterlich gelitten, aber Mitleid mit ihm ist hier wohl kaum angebracht. Schließlich begannen die Möwen, die über einhundert Jahre für die Beseitigung der menschlichen Kadaver von Mördern, Dieben und Piraten gesorgt hatten, die lebendigen Menschen anzugreifen. Man glaubte den Wahnsinn in ihren Augen zu erkennen und sah darin ein seltenes Zeichen der Natur. Man kam nicht direkt darauf, dass etwas die Tiere für sich vereinnahmte, etwas Böses. Aber es wurde noch schlimmer. Ein Büttel wurde getötet. Am selben Tag zog ein Sturm auf. Nachdem dieser kaum ein Gebäude auf der kleinen Insel verschont gelassen hatte, stellte man die Hinrichtungen in ganz Zeeland ein. Joos Slag floh, doch der Fluch verfolgte ihn. Er verließ Zeeland und ging nach Nordholland, aber auch dort fand er keinen Frieden. Nicht einmal die Kirche bot ihm Schutz vor den Albträumen, die ihn Nacht für Nacht heimsuchten. Margaretas gequälte Seele trieb ihn in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord. Erst danach kehrte für viele Jahre Ruhe ein.“
„Woher weißt du das alles?“, fragte Harry. Die Geschichte hörte sich von Minute zu Minute abenteuerlicher und unglaubwürdiger an, aber Inga erzählte sie in einer Ernsthaftigkeit, dass ihm permanent eisige Schauer durch den Körper liefen.
Inga seufzte und stand auf. Der Scotch stand in Reichweite, und da die Teekanne bis zum Boden geleert war, schenkte sie sich einfach einen Doppelten ein, bevor sie sich wieder hinsetzte.
Das Licht an der Decke flackerte kurz. Harry zuckte unwillkürlich zusammen.
Inga winkte ab. „Irgendwas stimmt mit den Leitungen nicht“, erklärte sie. Ihre Stimme machte dabei nicht den Eindruck, als würde sie das großartig beunruhigen. Es schien eine ganz gewöhnliche Eigenart dieses Hauses zu sein, ähnlich dem Knarren des Schildes, das über dem Eingang von Harrys Hütte montiert war. Anstatt sich weiter mit der Beleuchtung zu beschäftigen, besann sich Inga wieder auf die Erzählung.
„Tja, es war lange Jahre ruhig. Aber wie du sicher weißt, Harry, vergeht jedes Metall einmal und so auch jenes, das den Fluch der Sandbank in seinem nassen Gefängnis hielt. Und da sie Margareta unter dem Vorwand eine Kindermörderin zu sein exekutiert hatten, nahm sie sich nun wirklich ihre Kinder. Im November 1952 war das, mehr als zweihundert Jahre später und ihre Rache war fürchterlich. Ich weiß das, weil ich selbst eines dieser Kinder gewesen bin oder beinahe gewesen wäre. Ich war damals zehn, es war mitten in einer stürmischen Novembernacht. Ich schlief und während ich schlief, rief mich die Stimme im Traum an. Es war Margaretas Stimme. Ich konnte nicht sagen, woher ich das in diesem Moment wusste, aber ich wusste es. Die Bilder ihres zerstörten Lebens flirrten durch meinen Kopf. Es war schrecklich. Sie erzählte mir ihre Geschichte, klagte mir ihr Leid, dann rief sie mich zu sich. Ich folgte ihren Anweisungen, und als ich aus dunklem Schlaf erwachte, stand ich allein und verlassen am Strand. Sie kam und packte mich mit ihren fingerlosen Armen. Eine verfaulte, verdorbene, böse Kreatur. Ihre Vögel hatte sie mitgebracht und um ein Haar wäre es um mich geschehen gewesen. Mein Vater, der meine Abwesenheit bemerkt hatte, kam gerade rechtzeitig mit ein paar Männern zum Strand gelaufen. Ich lag auf dem Rücken, eine Schar schwarzer Möwen über mir. Die Männer verscheuchten die Tiere und retteten mich. Ich trug nur wenige Schnittverletzungen davon, aber ihr grausames Gesicht werde ich meinen Lebtag lang nicht mehr vergessen. Unter Tränen erzählte ich meinem Vater von dem Traum und der begann nachzuforschen. Wenige Tage später stieß er auf die Aufzeichnungen, die jetzt in Zierikzee lagern, und zog die richtigen Schlüsse. Er fuhr mit einem Boot hinaus, suchte nach der Truhe, fand sie und ersetzte das zu Bruch gegangene Schloss. Der Fluch war gezwungen, in sein Gefängnis zurückzukehren. Und dann war wieder Ruhe. Kein Kind kam mehr zu schaden. Ein
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