Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
hilflos in der Kiste herumflatterte und krächzte, machte sich in seinem Inneren der Glaube breit, dass er diese Geschichte völlig unter Kontrolle hatte. Ja, er war verrückt, irgendwie, aber er war eben Ari Gissaldri Sklaaten .
Als er endlich die verrückten Einfälle beiseitegeschoben und sich darauf besonnen hatte, klar und logisch zu denken, als er seine Gedanken endlich wieder geordnet und seine Nerven mit einer Flasche Wein endgültig beruhigt hatte, leuchtete ihm ein, dass er dennoch ein schwerwiegendes Problem hatte und dass es vermutlich ein schlimmer Fehler gewesen war, die Truhe einfach zuschütten zu lassen. Der Horror dieser Sandbank war so real, wie jeder einzelne Balken, jeder Nagel, jeder Tisch und Stuhl seines neuen Restaurants und nur weil er die Möwe gefangen hatte, würde er sicher nicht aufhören. Das hieß, Ari musste eine Möglichkeit finden, diesen Spuk zu beseitigen. Fingerlose Kinder mit aufgerissenen Hälsen, ob nun real oder nur eingebildet, und aggressive rotäugige Möwen mit todbringenden Schnäbeln waren schlecht für das Geschäft.
Am nächsten Tag begann Ari Sklaaten mit der Suche nach der Lösung. Der Lösung, die er Inga versprochen und schon als gefunden präsentiert hatte, aber so einfach würde es nicht werden.
Im Gegenteil: Es sollte lange dauern, bis er sie fand und er bezahlte dafür einen teuren Preis …
kapitel 7
4. Juli 2012, Westenschouwen , Bloemenboutique Heemstedde
Harry Romdahl schaute in den Badezimmerspiegel. Er drehte den Kopf etwas nach oben und betrachtete die Striemen auf seinem Hals, tiefrot und blutig. Sein Nacken sandte ein brennendes Stechen aus, das zum Wahnsinnigwerden war. Der Wasserhahn lief. Harry hielt die Hände zur Schale zusammengelegt darunter und klatschte sich das kühle Nass ins Gesicht. Seine Augen waren gerötet und eigentlich war ihm gar nicht danach, das Badezimmer in den nächsten Stunden wieder zu verlassen. Er hatte wenig Lust, dem Mann, der ihn schon zum zweiten Mal in einer Woche hatte töten wollen, in die Augen zu schauen.
Es klopfte an der Tür.
„Harry? Alles in Ordnung bei dir? Er ist jetzt wieder wach. Er sagt, es tue ihm leid. Harry?“
Harry betrachtete erneut sein Spiegelbild. Unter Schmerzen neigte er den Kopf nach links und rechts. Das hier war alles ein Albtraum. Seit letztem Samstag dauerte dieser an und Harry wollte nur noch eines: Aufwachen.
Als es erneut klopfte, seufzte er.
„Schon gut, schon gut.“
Er drehte den Schlüssel und öffnete. Im Flur stand Inga. Ihr Gesichtsausdruck sagte alles und er musste ihr nicht einmal anvertrauen, was er im Moment fühlte. Sie wusste es und sie hätte ihm sofort geholfen, wenn sie gekonnt hätte. Die Realität sah anders aus.
„Er ist verwirrt und panisch. Seit er aus dem Krankenhaus getürmt ist, haben die ihn verfolgt. Er dachte, du wärest einer von diesen Männern und würdest in meinem Haus rumschleichen. Er hat mir …“
Harry legte einen Zeigefinger an den Mund, er wollte keine Entschuldigungen hören.
Sie gingen gemeinsam in die Küche. Es roch noch immer stark nach Alkohol.
„Den Geruch habe ich sicher noch tagelang im Haus“, sagte Inga.
Harry nickte. „Was für eine Verschwendung.“
Ari Sklaaten saß zusammengesunken auf dem Stuhl, auf dem Harry den größten Teil des Abends verbracht hatte. Er trug immer noch den Mantel, die Sturmhaube lag auf seinem Schoß. Sein Haar war strähnig und es war kaum noch blond. Viel mehr überwog schwarzes Haar. Es war lang, zerzaust, fettig. Ari drückte einen Beutel Tiefkühlerbsen auf seinen Hinterkopf. Er war zweifelsohne zäh wie Leder, aber der massiven Glasflasche von Ingas Scotch hatte er nichts entgegenzusetzen gehabt.
„Tut mir leid, Harry, dachte du wärst wer anders. Haben wenig Zeit, weißt du, und viele Feinde“, brabbelte er. Es war die gleiche Tonlage, die er schon auf der Sandbank hatte. Er war eindeutig nicht ganz bei Sinnen und Harry fragte sich unwillkürlich, seit wann Ari Sklaaten mehr als nur ein paar Schrauben locker hatte.
„Er ist durcheinander, macht sich Vorwürfe. Er braucht etwas Zeit, um wieder klarzukommen“, entschuldigte sich Inga an Aris Stelle, obwohl Harry sicher war, dass er nichts gesagt hatte.
„Verwirrt? Ich? Nein, ich hab alles gesehen. Der da hat alles kaputt gemacht. Das Spruchband, es war an der Falltür angebracht im Speiseraum, genau über ihm. Es wäre nie rausgekommen, wenn der nicht gekommen wär. Es war die einzige Möglichkeit, es zu
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