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Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)

Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)

Titel: Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Biesenbach
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anderen Motten zu sein und deshalb Nacht für Nacht versucht den Mond zu erreichen. Er erinnerte sich nicht mehr daran, was die Moral der Geschichte war, aber das war jetzt ohnehin unwichtig.  Die Anwesenheit der Motte hatte nur eine Bedeutung, sie würde nicht die Einzige bleiben, wenn niemand reagierte.
    Harry drückte den krummen Rücken durch und streckte sich, dann schloss er die Tür, die Ari bei seiner abrupten Flucht offen stehen gelassen hatte. Eine Motte im Raum war mehr als genug.
    „Und jetzt? Wird er zurückkommen? Wird er uns helfen?“, fragte Harry nach kurzem Schweigen. Inga schüttelte den Kopf.
    „Ich weiß es nicht. Geh lieber nicht davon aus.“
    „Also tun wir nichts? Warten wir einfach darauf, dass etwas passiert?“
    Wieder deutete Inga ein Kopfschütteln an. Sie war eine Kämpfernatur und in so vielen Lebensjahren mit allem fertig geworden, das konnten gewiss nicht viele Menschen von sich behaupten und doch wirkte sie jetzt, als sie in ihrer winzigen Küche zusammensaßen, ruhelos. Sie strahlte nicht direkt Unruhe aus oder Besorgnis, es war eher das Gefühl, das man hat, wenn man weiß, dass einem die gegebene Zeit schneller davon läuft, als einem lieb ist.
    „Nein“, sagte sie, „wir müssen Margareta selbst aufhalten. Ari hat genug getan. Wir müssen selbst da rausfahren, um die Kiste wieder zu verschließen. Zur Not müssen wir es mit einem gewöhnlichen Vorhängeschloss versuchen. Ari sagte, er hätte etwas bei dir versteckt. Auch wenn er durch den Wind ist, ich glaube ihm. Wir müssen herausfinden, was es ist und dann ...“
    Sie stockte. Der Boden zitterte, die Gläser in der kleinen Holzvitrine vibrierten, das Licht flackerte. Etwas stimmte nicht.
     
    ***
     
    In der Nähe der Sandbank, drei Meter unter der Wasseroberfläche lösten sich die letzten Reste des Verschlusses von Margareta van Buurens Truhe. Korrodierte Eisenteile sanken langsam auf den Grund, wo sie im Sand liegen blieben. Es gab einen heftigen Schlag von innen gegen den Deckel, noch einen und noch einen. Die Kiste vibrierte und mit einem letzten dumpfen Schlag öffnete sich die Truhe wenige Millimeter, nicht breiter als einen Briefkastenschlitz. Dennoch reichte dieser gänzlich aus. Eine formlose schwarzrote Masse schoss durch den Spalt ins freie Meer. Der Meeresboden zitterte. Die Masse sank auf den Grund, wirbelte Sand und Schlick auf, dann schoss es dem Impuls des leichten Seebebens folgend in Richtung Strand. Ein Schwarm Möwen, der auf der Wasseroberfläche geruht hatte, flog kreischend in den Nachthimmel und folgte ihr.
     
    ***
     
    Harry spürte das Beben unter seinen Füßen. Es kam nicht häufig vor, dass die Erde in dieser Gegend bebte, fühlte sich jedoch nicht so bedrohlich an, dass er sich etwas dabei dachte. Inga hingegen dachte da offensichtlich anders. Sie schaute besorgt drein. Harry verstand nicht, weshalb und versuchte zu beruhigen.
    „Ungewöhnlich. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in den letzten zehn Jahren hier ein Erdbeben gegeben hat. Aber es scheint nur ein leichtes zu sein, da kann nicht viel passieren, denke ich. Ist ja nicht so, dass von so etwas direkt die Welt untergeht.“
    „Das ist kein gewöhnliches Erdbeben“, widersprach Inga. Ihre Stimme war nur noch ein tonloses Flüstern. „Das ist van Buuren . Sie ist wieder hier.“
    Sie legte eine Hand an die Stirn und schloss die Lider. Auf diese Weise verharrte sie mehrere Minuten und kurz glaubte Harry, sie wäre eingeschlafen. Er hätte es nach den Strapazen des Tages nur allzu gut verstanden, doch dann riss sie die Augen plötzlich wieder auf.
    „Du musst gehen, sofort. Du darfst nicht bleiben“, befahl sie. Harry, von der unerwarteten Anweisung völlig überrumpelt, verstand nicht, aber Inga gab keine Erklärung ab.
    „Geh“, wiederholte sie nur.
    „Aber Inga, was ist denn los?“ Harry blieb wie angewurzelt stehen und dann überschlugen sich die Ereignisse.
    Der rote Punkt tanzte zuerst unbeobachtet über die Anrichte, nahm danach den Weg über die Spüle, wanderte ungesehen weiter und kam erstaunlich schnell mit stoischer Präzision auf Ingas Brust zum Stehen. Erst dort bemerkte ihn Harry, aber da war es bereits zu spät. Er brüllte noch: „Inga! Pass auf!“  In derselben Sekunde zersprang das Küchenfenster, wurde förmlich in tausend Stücke gesprengt. Das lautlos weiterfliegende Geschoss traf Inga und riss sie von den Füßen. Sie fiel zu Boden. Harry sah alldem entgeistert zu, unfähig zu reagieren.

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