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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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mich …«
    Funkstille.
    Tim nahm grinsend das Headset ab und reckte sich im Stuhl. Pat und seine Mutter, ein ständiger Bürgerkrieg im Hause Stenzel. Früher waren sie wohl gar nicht schlecht miteinander ausgekommen. Aber seit Patrik letztes Jahr sitzengeblieben war, gab es täglich Druck von oben, weil sich die Mutter einfach nicht mit der Schande abfinden konnte, dass ihr Sohn nun mal versagt hatte. Ausgerechnet in der SCHULE. Es gab ja wohl nichts Wichtigeres als die SCHULE. Mann, Mann. Dieses Erwachsenengetue um die SCHULE ging Tim extrem auf die Nerven.
    Wenigstens hatte er Patrik als Gleichgesinnten, und Patrik hatte ihn. Als sie noch zusammen in eine Klasse gegangen waren, hatten sie kaum etwas miteinander zu tun gehabt. Eigentlich hatte damals niemand etwas mit Patrik zu tun gehabt. Erst nachdem Pat einen Jahrgang zurückgestuft worden war und dort dank seiner Körperlänge und der schwarzen Klamotten noch mehr aus dem Rahmen fiel als bereits zuvor, hatten sie sich angefreundet. Sicher auch – dessen war sich Tim durchaus bewusst –, weil zu diesem Zeitpunkt längst auch mit Tim kaum noch einer der Klassenkameraden sprach. Tim fehlte seinerseits völlig das Bedürfnis, sich mit den Altersgenossen in seiner Klasse auszutauschen. Das waren wahlweise: Streber, Modetussis, Sportfreaks, Computernerds und sonst was. Nichts, was Tim interessierte. Er empfand sich selbst im tiefsten Innersten als anders – ohne genau zu wissen, auf welche Art anders. Da blieb als Freund eben nur jemand, der auch ziemlich anders daherkam.
    Jemand stieg die Treppe vom Erdgeschoss aus hoch. Onkel Fredo? Tim hatte ihn vorhin vom Fenster aus gesehen, wie er im Garten mit dem Fettkloß von nebenan Fußball spielte. Zuvor hatte Knödel den Rasen mähen müssen. Das wäre normalerweise Tims Aufgabe gewesen, insofern fand er das natürlich nicht übel. Draußen ging jemand durch den Flur, an seiner Zimmertür vorbei und mit leichtem Tritt die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Also nicht Fredo, sondern Gesche. War ja auch egal, Hauptsache, man ließ ihn in Ruhe.
    Auf der Suche nach seiner Schultasche ließ Tim den Blick durchs Zimmer schweifen, ohne sich zu erheben. Tatsächlich ein bisschen unordentlich, gestand er sich ein und ergänzte innerlich: Aber aufräumen lohnt sich einfach nicht. Was lohnte sich überhaupt? Immerhin entdeckte er die Tasche auf dem Fußboden neben seinem Bett – nah genug, um sie sich mit dem Fuß angeln zu können, ohne aufzustehen.
    Heute war er zum ersten Mal wieder im Biologieunterricht gewesen. Köhler, der alte Sack, hatte ihn konsequent ignoriert und sich auch jeden Kommentar über die geschwänzten Stunden verkniffen. Tim hatte sich auf seinen Stammplatz in die letzte Reihe gequetscht und die Zeit abgesessen. Sexualkunde war offenbar längst abgehakt, vom neuen Thema verstand Tim kaum etwas, weil ihm der versäumte Stoff fehlte. Egal. Hauptsache, Ruhe. Anscheinend hatte Onkel Fredo an dieser Front tatsächlich ein paar Wogen glätten können. Hätte Tim ihm nicht zugetraut.
    Die überraschend konfliktfrei verlaufene Biostunde musste Tim irgendwie benebelt haben. Jedenfalls fühlte er sich im anschließenden Deutschunterricht beim alten Semmling plötzlich dazu animiert, bei der Verteilung einer Extraaufgabe den Finger zu heben. Da dies ein höchst außergewöhnliches Ereignis darstellte, erteilte ihm Semmling prompt den Zuschlag und überreichte ihm einen kopierten Text mit den Worten: »Durchlesen – Interpretation schreiben – übernächste Woche abgeben.«
    Dumm gelaufen.
    Tim kramte den Text seufzend aus der Schultasche und legte ihn vor sich auf die PC-Tastatur. Zwei DIN-A4-Bögen. »John Maynard«, las er laut. »Eine Ballade von Theodor Fontane. Na dann …«
    Er nahm das erste Blatt in die Hand und begann mit Strophe eins.

    »John Maynard!
    Wer ist John Maynard?
    John Maynard war unser Steuermann.
    Aushielt er, bis er das Ufer gewann.
    Er hat uns gerettet, er trägt die Kron’.
    Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
    John Maynard!«

    Tim verdrehte die Augen gen Zimmerdecke und ließ das Papier aus kraftlosen Fingern zu Boden flattern. Dann sackte er nach vorn und bettete die strapazierte Denkerstirn auf die Schreibtischkante – ungeachtet eines matschigen, dort zwischengelagerten Pizzarests.

    Gesche schälte sich aus ihrer leichten Übergangsjacke und hängte sie an den Garderobenständer. Bald wird man gar keine Jacke mehr brauchen, der Frühling kippt schon Richtung Sommer,

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