Mogelpackung: Roman
hast du einen Moment Zeit für mich?«
Wolfgang Köhler stand allein vor einem Kopiergerät, das gerade geräuschvoll einen Klassensatz Arbeitsbögen ausspuckte, und sah sie erwartungsvoll an. Sie waren sich natürlich schon vor Schulbeginn im Lehrerzimmer begegnet, aber da waren viele andere Kollegen um sie herum gewesen. Und Helena war bewusst einem Vier-Augen-Gespräch mit ihm ausgewichen. Die plötzliche Aggressivität, mit der Köhler gestern Fredos Terrassentür zerlegt hatte, erschreckte sie etwas. Andererseits hatte er sie gestern bereitwillig begleitet und war nach Fredos Aufforderung und ihrer Bitte anstandslos gegangen. Dafür schuldete sie ihm zumindest ein paar erklärende Worte über den Ausgang der Geschichte. Natürlich nur über deren schulrelevanten Teil.
»Hallo, Wolfgang.« Helena trat zu ihm in den Kopierraum. »Ich möchte dir noch mal herzlich für deine Hilfe gestern danken.«
Er winkte ab. »Bist ja wohl auch ohne mich zurechtgekommen. Oder?«
»Doch, ja.«
»Hast du denn mit Karla gesprochen?«
Helena nickte. »Sie hat zugegeben, dass sie die wüsten Geschichten über ihre Liebesbeziehung nur erfunden hat, um die Mitschülerinnen zu beeindrucken.«
»Aber du hast doch selbst gesehen, wie sich dieser Herr Fried und das Mädchen geküsst haben?«
»Schon. Aber das hat Karla auch inszeniert. Hat ihren Onkel gebeten, sie von der Schule abzuholen, dafür gesorgt, dass alle Freundinnen versammelt sind – und sich ihm an den Hals geschmissen.«
»Trotzdem. Man kann sich als erwachsener Mann auch beherrschen!«
»So wie du bei der Glastür?«, konnte es sich Helena nicht verkneifen.
»Immerhin stand die Unschuld eines Kindes auf dem Spiel! Es sah zumindest für mich danach aus.« Köhler wandte sich beleidigt ab und hantierte am Kopiergerät, das zwischenzeitlich verstummt war, nun aber weitere Papierseiten auszuwerfen begann.
»Entschuldige, Wolfgang.« Das hatte er wirklich nicht verdient. »Jedenfalls ist nun alles geklärt. Ich habe eben auch schon zwischen Karla und ihrer Freundin Juliane vermittelt. Das mit der Glastür regele ich mit meiner Versicherung. Damit können wir die Affäre auf sich beruhen lassen.«
»Wenn du meinst«, grummelte Köhler, offenbar noch nicht ganz versöhnt.
»Und vielleicht darf ich dich für deine Hilfe zum Essen einladen?«, ließ sich Helena vom schlechten Gewissen hinreißen. »Es gibt im ›Feuerofen‹ bestimmt noch etwas anderes als Pizza …«
Ihr Kollege fand auf der Stelle sein charmantestes Lächeln wieder. »Dann übernehme ich den Montepulciano!«
Im Netz der Monsterspinne zappelte eine halbtote Fliege, aber das Biest persönlich ließ sich nicht blicken. Wahrscheinlich schon maßlos überfressen und wählerisch, dachte Fredo. Rührt sich wohl nur noch für ganz edle Leckerbissen, was immer das aus Sicht einer Spinne sein mochte. Sicher nichts, worüber man als Kulturmensch gerne verschärft sinnieren wollte.
Helena Anatol rührte sich auch nicht. Fredo hatte schon mehrfach versucht, sie telefonisch zu erreichen. Niemand nahm ab, es schaltete sich auch kein Anrufbeantworter ein. Fredo fand die Lehrerin zwar ungleich attraktiver als die Monsterspinne, doch es drängte sich der Verdacht auf, er bedeute für Helena kaum mehr als eine weitere Fliege im Netz. Das könnte durchaus auch die solide Basis für eine unkomplizierte Beziehung sein. Aber so sehr Fredo sonst unkomplizierte Beziehungen schätzte – in diesem Fall störte ihn die Vorstellung von Unverbindlichkeit, ohne dass er zu sagen vermocht hätte, warum eigentlich. Und deshalb versuchte er, diese Unverbindlichkeit zu brechen. Leider vergeblich, wie sich herausgestellt hatte.
Er könnte natürlich versuchen, Helena in ihrer Wohnung zu besuchen oder ihr eine Nachricht in den Briefkasten zu stecken. Leider gab sich die Schulsekretärin auf Nachfrage verschlossen wie die Bank von England und verweigerte kategorisch die Herausgabe von Frau Anatols Adresse, die im Übrigen auch nicht im Telefonbuch oder im Internet zu finden war. Erstaunlich. Und ärgerlich für Fredo.
Vielleicht, fiel ihm plötzlich ein, wüsste Briegel die Adresse seiner Kollegin. Fredo ging von der Terrasse zurück in sein Zimmer. Ohne die Tür öffnen zu müssen, einfach durch die nicht mehr vorhandene Glasscheibe. Enorm praktisch, er hatte sich schon daran gewöhnt. Nur zum Sitzen war es jetzt etwas zu frisch im Gästezimmer, weshalb er sein Handy mit ins Wohnzimmer nahm und sich dort aufs Sofa fläzte.
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