Mogelpackung: Roman
völlig. Für sie kam einfach nichts mehr. Nichts mehr, was ihr Hoffnung machte. Und was ihr richtig auf die Nerven ging, war dieser besorgte Blick, den sie während der beiden letzten Tage immer mal wieder bei Fredo hatte registrieren müssen. So ein »Na, Oma, tickst du noch sauber«-Blick. Eine Art atemloses Stillhalten, als bestünde die akute Gefahr, dass sie sich von einem Moment zum anderen in ein Stück hirnloses Gemüse verwandeln könnte.
Genau das ist meine größte Angst, gestand Gesche sich ein. Und mir bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn ich das vermeiden will. Schon gar nicht, wenn die Familie sie nicht mehr allein ließ. Jetzt blieb sie wenigstens noch in ihrer Wohnung für sich. Aber was, wenn wieder so etwas passierte wie neulich bei der Schule? Und es würde wieder passieren, so viel war klar. Dann würde man vielleicht dafür sorgen, dass sie keinen Moment mehr unbeobachtet blieb.
Es blieb nicht mehr viel Zeit.
Gesche ging hinüber ins Badezimmer und prüfte zum bestimmt tausendsten Mal die Medikamentenbestände im Medizinschrank. Sie hatten sich nicht über Nacht vermehrt, leider. Die Tabletten reichten nicht. Dann blieb doch nur die Gasflasche. Aber ich muss auf Nummer sicher gehen, dachte Gesche. Alles richtig machen. Und niemanden sonst gefährden. Bei Gas weiß man nie. Am besten wäre es, wenn außer ihr alle aus dem Haus wären. Hoffentlich ließ Fredo noch mal locker mit diesem Quatsch, dass immer ein Familienmitglied bei ihr im Haus bleiben müsste.
Gesche trat ans Fenster und sah hinaus. Das Garagentor quietschte. Gesche hörte allerdings keinen Motor starten. Wahrscheinlich holt eines der Kinder sein Fahrrad heraus, spekulierte sie und lehnte sich so weit vor, bis ihr ein Straßenstück unweit der Villa ins Blickfeld geriet. Sekunden später erkannte Gesche tatsächlich Tim, der in gekrümmter Rennfahrerhaltung auf seinem Rad davonflitzte.
Einer weniger, ging ihr durch den Kopf.
Fredo klappte sein Notebook zu und verstaute es wieder in der Tasche. Nichts Neues aus Berlin, nur ein paar mehr oder weniger belanglose Mails von einigen Bekannten und der übliche Haufen überflüssiger elektronischer Werbebotschaften. Auch nichts von Nicole und/oder Markus, denen er aber seinerseits einen kurzen Gruß geschrieben hatte.
Allmählich wurde es Zeit für das Fußballturnier. Viel anziehen musste man bei der Hitze nicht. Fredo wählte Shorts und ein verwaschenes T-Shirt, das er vor Jahren bei einem AC/DC-Konzert erworben hatte. Falls es später kühler werden würde, legte er sich noch ein leichtes Hemd über den Arm, in dem sich auch Handy und Schlüssel verstauen ließen. Dann verließ er sein Zimmer und ging zur Küche, um noch etwas zu trinken, bevor Briegel in der Tür stehen würde.
Karla saß am Tisch und mümmelte einen Rest Salat vom Vortag.
»Kochst du nichts?«, erkundigte sich Fredo und füllte sich ein Glas mit Wasser, welches er in kleinen Schlucken trank. »Vielleicht haben Tim und Gesche auch bald Hunger?«
»Tim ist schon weg. Und Gesche war überhaupt noch nicht unten. Keine Sorge«, schob Karla gleich nach, als sie in Fredos Miene leichte Besorgnis erkannte, »sie ist auf den Beinen und hat schon ordentlich mit den Fenstern in ihrer Wohnung geknallt. Die kriegt sie nämlich nie leise auf und zu!«
»Dann ist ja gut.« Fredo stellte das leere Glas auf die Spüle. Dabei sah er aus dem Küchenfenster heraus ein Auto auf die Einfahrt rumpeln. Briegel Schulz fuhr einen uralten Volvo, mit dessen Hupe er jetzt kurz sein Eintreffen signalisierte. »Ich muss auch los«, wandte sich Fredo an das Mädchen. »Also, du bist den ganzen Tag hier?«
Karla sah ihn nicht direkt an, nickte aber.
»Bis später dann«, sagte Fredo und eilte hinaus. Briegel grinste ihm aus dem Volvo heraus entgegen und stieß die Beifahrertür einladend auf.
»AC/DC«, bemerkte er mit Blick auf Fredos T-Shirt. »Seitdem ist musikalisch aber eine Menge passiert, mein Lieber!«
»Bei mir nicht«, entgegnete Fredo und ließ sich in den Wagen fallen. Angesichts des sich ihm bietenden Anblicks hätte es ihn fast wieder hinauskatapultiert: Briegel trug ein zeltartiges Hawaiihemd in den grellsten, knalligsten, schreiendsten Farben, die Fredo je bei einem Textil gesehen zu haben glaubte.
»Damit kannst du ja Feueralarm auslösen«, meinte Fredo, nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte.
Briegel setzte rückwärts aus der Einfahrt. »Gefällt dir mein Hemd nicht?«
»Es ist umwerfend«, erklärte Fredo
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