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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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da setzt sie sich dann doch zu mir, o Wonne, o Macht der Sprache … Als sie schließlich aufbricht, o Trauer, o Schmerz, bitte ich sie um Zeitungen, ein paar Minuten später bringt sie sie mir. Hab’ ich Ihnen eigentlich schon gesagt, dass Sie die schönsten Augen zwischen Sofia und Saratoga Springs haben, Schwester Tanja? Sie zerschmilzt und fließt aus dem Zimmer. Als sie weg ist, ziehe ich endlich die Nadel aus dem Arm und vertiefe mich in die Zeitungslektüre. Zwar wird über einen Ausbruch von ungefähr dreißig Häftlingen aus dem Polizeigefängnis berichtet, es sei jedoch unklar, wie es ihnen gelingen konnte, sich zu befreien. Enttäuscht lasse ich die Zeitungen sinken und gleite langsam in den Schlaf.
    Als ich aufwache, liege ich in einem anderen Raum. Mein Bett steht neben dem Fenster, links von mir gibt es zwei weitere Betten, beide sind belegt, einer der beiden jungen Männer hat gerade Besuch. Und dann kommt auch für mich Besuch, Djaafar steht plötzlich an meinem Bett. Djaafar, Bruderherz, rufe ich erfreut, will aufstehen, doch plötzlich ist da dieser stechende Schmerz am Arm, da hat man mich doch tatsächlich im Schlaf wieder angestochen, ich muss mit Schwester Schönauge reden, das kann so nicht weitergehen! Ich ziehe die Nadel aus dem Arm und folge Djaafar auf den Gang. Wir ziehen uns in einen stillen Winkel zurück, Djaafar hat natürlich zur Feier des Tages frisches Kraut mitgenommen, braver Junge, auf ihn ist wirklich Verlass. Wir rauchen also ein bisschen und sprechen von alten Tagen und auch von den neuen, die für Djaafar angebrochen sind. Er hat Unterschlupf bei einem Freund gefunden und plant, bald nach Belgien aufzubrechen, um zu seinem Onkel zu ziehen, diesmal will er alles gut vorbereiten, um nicht wieder zurückgeschickt zu werden. Wir helfen dir, biete ich ihm an, wir haben dich befreit, jetzt können wir auch dafür sorgen, dass du in Freiheit bleibst und es bis zu deinem Onkel schaffst. Auch er schickt mir einen seltsamen Blick, kommt aber nicht mehr dazu, mir zu antworten oder für die Befreiung zu danken, denn plötzlich entdeckt uns Schwester Tanja. Bist du verrückt, Ali, schimpft sie. Ja, antworte ich, nach dir, schönste aller Schwestern. Doch diesmal wirkt sie nicht geschmeichelt, sondern besteht darauf, dass wir die Zigaretten ausmachen. Du musst sofort wieder ins Bett, und Infusion musst du auch machen! Sie schnuppert kurz und wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. Schwesterchen, woher kennst denn du diesen Geruch, frage ich tadelnd, doch statt zu antworten, führt sie mich zurück ins Zimmer und steckt mich eigenhändig ins Bett.
    In den nächsten Tagen kommen einige meiner Mitbewohner zu Besuch, ich bin gerührt über so viel Aufmerksamkeit. Auch sie sprechen nicht über unsere Befreiungsaktion, es ist, als hätten alle beschlossen, diesen Punkt auszuklammern, vielleicht ist es ja einfach nur Rücksicht einem vermeintlich Kranken gegenüber. Der eingebildete Kranke bleibt jedenfalls noch ein paar Tage im Krankenhaus, er möchte den Abschied von Schwester Tanja noch ein wenig hinauszögern, doch dann wird es Zeit, dem Leben wieder ins Auge zu sehen, auch wenn der Abschied für beide Seiten ein tränenreicher ist. Die Pflicht ruft laut und deutlich, die Welt braucht Ali Idaulambo, vor allem aber braucht sie Djibrail, und sie braucht Faruq.
    Ich mache mich gleich an die Arbeit, als ich wieder im Leo bin, ich möchte beim Mittagessen eine neue Versammlung einberufen, stoße aber auf unerwarteten Widerstand. Du darfst nicht, Ali, meint Kamal ganz besorgt, Ist nicht gut für Gesundheit, sagt Nicoleta, Du musst schonen, meint sogar die wilde Nino, Blablabla, meint Djamila, und Blablabla meinen auch die anderen. Was ist denn mit euch los, reagiere ich fassungslos, hat man euch alle gehirngewaschen? Betretenes Schweigen. Es ist nicht gut für dich, fängt Tomo wieder an, sonst du wirst noch einmal krank. Ich war nie krank, entgegne ich ihm, das war doch alles nur gespielt, habt ihr das nicht kapiert? Es ist alles Teil eines Plans, einer Strategie, auch wenn ich euch jetzt nicht mehr darüber erzählen kann. Wieder betretenes Schweigen. Okay, okay, ich bin ja gerührt über eure Fürsorge, und ich darf euch keinen Vorwurf machen, denn da stecken sicher Mira und Tony und vielleicht auch der Onkel dahinter. Aber wenn ihr Djaafar und Gülertan und die anderen, die wir befreit haben, nun im Stich lasst, dann war unser ganzer Kampf in den letzten Monaten umsonst. Ich will fortfahren,

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