Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Schubhaftbetreuern und versuchen alles in ihrer Macht stehende, um gegen die eigene Ohnmacht anzukämpfen –, berufe ich eine Versammlung im Fußballzimmer ein. Liu wurde abgeschoben, beginne ich ohne viel Umschweife meine mehrsprachige Rede, Gülertan Dolas und andere Familienväter wurden verhaftet, ein sechs Monate altes Kind erhielt einen Ausweisungsbefehl, und nun wurde Djaafar in Gewahrsam genommen – Genossinnen und Genossen, wir können nicht länger nur zusehen. Morgen kann es dich treffen, sage ich und werfe einen bohrenden Blick auf Djamila, übermorgen kannst du von der Fremdenpolizei geweckt werden, Nicoleta, und wir alle stehen vielleicht schon längst auf der Liste für die nächsten Abschiebungen.
Kamal, dessen Hand bis jetzt nervös mit den roten Plastikstürmern des Fußballtisches gespielt hat, erstarrt und blickt ängstlich zur Tür. Genossinnen und Genossen, wir haben in den vergangenen Monaten ein paar Spiele gespielt. Wir haben Djamilas Mitschülern ein wenig Respekt beigebracht, haben Straßentheater gemacht und dem Abschiebeministerium elektronische Liebesgrüße geschickt. Als wir uns hier vor ein paar Monaten zum ersten Mal versammelten, habe ich vom Ernstfall gesprochen, auf den wir uns vorbereiten müssten. Genossinnen und Genossen, jetzt, jetzt ist der Ernstfall da, die Revolution beginnt! Und dann unterbreite ich meinem geschätzten Publikum den Plan zur Befreiung Djaafars.
Nicht alle sind dabei, als wir schon am nächsten Tag – jede Stunde Zögern könnte Djaafars Abschiebung bedeuten – zum Gefangenenhaus aufbrechen, ich kann es niemandem verübeln, nicht jeder hat das Zeug zum Helden, doch immerhin sind wir zu siebent. Die glorreichen Sieben, sie reiten gegen Theben, sieben Samurai haben ihre Schwerter gezückt, es ist nicht der 14. Juli, nein, da wäre es längst zu spät und Djaafar bereits in Afghanistan, sondern der 10. Mai, und wir stürmen nicht die Bastille, sondern das Polizeigefängnis auf dem Währinger Gürtel. Schon sind wir im Gebäude drin, der Polizist, der sich uns entgegenstellt, hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zu, als er meine Stimme vernimmt, er versucht, gleichzeitig die Augen abzuschirmen vor dem gleißenden Licht, das von mir ausgeht, und er krümmt sich vor Schmerz und weicht zurück, und schon haben wir die erste Hürde genommen. Auch die nächsten beiden Türen öffnen sich rasch für uns, nur bei der letzten, die uns noch von den Häftlingen trennt, muss ich wieder ein wenig laut werden: Öffnet die Tür, rufe ich dem Mann in Uniform, der uns den Weg versperrt, mit Donnerstimme zu, ich bin Djibrail, ich bin gekommen, um den Frevel zu beenden und Gerechtigkeit zu bringen! Ich bin Djibrail, ich biete Schutz für die, die des Schutzes bedürfen, und bringe den Tod jenen, die ihn verdienen! Ich bin Djibrail, der Gerechte, ich bin Faruq, der zwischen Wahrem und Falschem unterscheidet, ich bin Ruh al-Qudus, der Geist der Heiligkeit, nun öffnet die Tür, oder das Feuer des Himmels wird über euch kommen! Beim Schall meiner Worte fällt der Uniformierte betäubt zu Boden und bleibt mit dem Gesicht nach unten liegen, die Tür öffnet sich von allein.
Auch die Häftlinge halten schützend die Hände vor die Augen, doch ich spreche beruhigend auf sie ein: Fürchtet euch nicht, sage ich, ich bin gekommen, um diejenigen unter euch zu befreien, die frei von Schuld sind, und die Hände strecken sich mir entgegen. Herr, ich bin’s, ruft es von rechts und von links. Bald haben wir Djaafar gefunden, und da ist auch Gülertan Dolas, und da sind andere Menschen, die man in den vergangenen Wochen aus ihrem Leben gerissen und zu Unrecht eingesperrt hat, und alle gemeinsam strömen wir auf die Straße hinaus, hinaus in die Freiheit, hinaus an die Luft, hinaus ins Licht des Tages und des Himmels.
22
Das Licht des Himmels, ich fühle es auf meiner Haut, es durchdringt meine Poren, dringt durch meine geschlossenen Augenlider und erfüllt mich.
Ich öffne die Augen. Was tun Sie da, frage ich einen weiß gekleideten Mann, der sich über mich beugt und mich mit einer Lampe zu blenden versucht. Erst dann entdecke ich die Frau an seiner Seite, oder vielmehr ihre Augen, vielleicht waren es auch diese Augen, die mich blendeten; wie zwei Sonnen, so helle stehen sie am Firmament und bohren sich in mein Herz. Zu Hilfe, rufe ich, ich bin zu Tode getroffen! Der weiße Mann ignoriert meinen Hilferuf, er drängt die Augen samt zugehörigem Körper zur Seite, gibt
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