Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Asylwerbern auch diesen letzten Trumpf aus der Hand zu nehmen. Jeder von uns wurde bei der Aufnahme in diese Anstalt darüber aufgeklärt, dass die Aussicht auf Asyl gerade bei Jugendlichen sehr gering ist. Wir wollen euch hier keine falschen Hoffnungen machen, schenkte uns der Onkel von Anfang an reinen Wein ein. Doch wenn man dann den negativen Bescheid tatsächlich in Händen hält, ist die ganze Aufklärung vergessen, der ganze Wein ausgetrunken, denn jeder hofft ja doch und klammert sich an diese Hoffnung wie an einen rot-weiß-roten Rettungsring. Es war also wieder einmal spruchgemäß zu entscheiden von bedauernswerten Beamten, die gar nicht anders konnten. Die Vorbringungen des Antragstellers Djaafar Kalakani, so schreiben sie, seien widersprüchlich gewesen, er habe nicht glaubhaft machen können, dass sich in seinem Herkunftsland eine politisch, rassisch, religiös oder sonstwie motivierte Bedrohung gegen seine Person richten würde, Hunderttausende Menschen seien überdies bereits nach Afghanistan zurückgekehrt, es gebe eine neue Verfassung, die allen Menschen die gleichen Rechte garantiere, aufgrund dessen sei eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig.
Was wirst du tun, wenn du nicht Asyl bekommst, lautet also die viel wesentlichere Frage, die ich am Mittagstisch stelle. Ich geh’ sofort illegal, sagt Afrim mit vollem Mund. Wenn du bist schnell genug, gibt Tomo mit ebenso vollem Mund zurück, ein berechtigter Einwand, denn so mancher negative Bescheid wurde schon inklusive Schubhaftbefehl von der Fremdenpolizei persönlich zugestellt, zumindest unten bei den Erwachsenen, und das vorzugsweise in den frühen Morgenstunden, wenn alle noch nichts ahnend in ihren Betten schlummern. Ich bekomme bestimmt Asyl, sagt Djamila zuversichtlich. Tomo schenkt ihr das milde Lächeln des großen Bruders. Ich kann wieder in China-Restaurant gehen, meint Liu, findet mich dort niemand. Aber wohnen, wo wirst du wohnen, fragt Nino. Na, in Restaurant, antwortet Liu, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Amal sagt nichts, sie isst schweigend weiter. Auch Djaafar beteiligt sich nicht an der Diskussion, erst als wir nach dem Essen allein im Zimmer sind, beantwortet er meine Frage. Ich gehe nach Belgique, schreibt er. In Belgien lebt ein Onkel Djaafars, Belgien war das ursprünglich angepeilte Ziel, für das seine Familie die Schlepper mit allem, was sie irgendwie an Geld auftreiben konnte, bezahlte. Belgique, schrieb Djaafar Wochen später auf einen Zettel und hielt ihn dem Mann hin, der ihn und zwei andere junge Leute auf dem letzten Stück einer langen Reise durch die Nacht chauffiert und schließlich mitten im Wald ausgesetzt hatte. Belgique? Jaja, Belgique antwortete der und scheuchte ihn weg wie eine lästige Fliege.
Djaafar hielt an diesem ersten Tag in Österreich jedem, der ihm begegnete, seinen Zettel mit der Adresse seines Onkels in Liège unter die Nase, doch die meisten verstanden nicht, was er wollte, oder reagierten mit Worten, die er nicht verstand. Erst als er von der Polizei ins Lager gebracht wurde und dort auf Landsleute und andere des Persischen mächtige Menschen stieß, wurde er darüber aufgeklärt, dass er sich nicht hinter belgischem, sondern hinter österreichischem Stacheldraht befinde. Daraufhin flüchtete er aus dem Flüchtlingslager und versuchte, auf eigene Faust nach Belgien weiterzureisen, er versuchte es ein Mal, er versuchte es ein zweites Mal, er versuchte es ein drittes Mal, doch jedes Mal wurde er erwischt und wieder zurückgeschickt. Und nun ist er hier im Leo, doch die Frage ist, wie lange noch. Ich versuche Djaafar aufzumuntern. Du hast ja noch ’ne Schangse, imitiere ich den Onkel, doch seine Miene erhellt sich nur unmerklich, and not even a jointly jacked-up John would have Djaafar join in the juvenile jollity.
Und der Stein ist grün, fragt Pitra zum zweiten Mal. Ich habe ihr von Yaya und Murad erzählt, von dem Amulett, um das es bei dem Streit ging, denn die Geschichte lässt mich nicht los. Ich nicke. Dunkelgrün, ja. Erzähl mir noch ein bisschen was über diesen Yaya, sagt sie. Ich erzähle das Wenige, was ich von ihm weiß, und plötzlich fängt Pitra zu weinen an. Bestürzt unterbreche ich meine Erzählung. Was ist los, frage ich, denn ich habe sie noch nie anders als fröhlich und unbeschwert erlebt. Was hast du, erkundigt sich auch Anunu ganz erstaunt. Nichts, antwortet die Schwarze Köchin und wischt sich die Tränen aus den Augen, gar nichts. Ist es
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