Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Menge Tschetschenen. Auch Gjergi, der tagaus, tagein schlaflos das Haus durchwandert, wird verdächtigt, schließlich verdächtigt jeder jeden, jeder beäugt den anderen misstrauisch, nur ich halte mich heraus, obwohl irgendeiner meiner lieben Genossinnen und Genossen mit Sicherheit auch mich verdächtigt.
Auch am nächsten Tag herrscht Tiefdruckwetter, jeder geht jedem aus dem Weg, und wo das nicht möglich ist, brechen Konflikte aus. Der Balkankonflikt: Die Albaner sind einfach Dreckschweine, schimpft der überaus ordentliche Tomo auf Serbisch. Er ist gemeinsam mit Kamal zum Küchendienst eingeteilt, Afrim hat wieder einmal die Hälfte seines Mittagessens auf dem Tisch zerkrümelt und verschmiert. Afrim, auf dem Weg zur Tür, dreht sich um. Wie bitte, fragt er und feuert einen Scharfschützenblick Richtung Tomo. Tomo putzt und schweigt. Afrim, schon zur Attacke auf Tomo bereit, beherrscht sich. Aber sie sind wenigstens keine Diebe und stehlen anderen ihr Taschengeld, antwortet er, dreht sich um und geht. Rassenunruhen: Adolphe stolpert auf der Treppe und rempelt ungewollt Murad an, Murad beschwert sich daraufhin bei Zakia, dass die Neger ihn verfolgen würden. Revierkämpfe: Amal schreit Oma an, weil sie nach wie vor nachts das Licht neben ihrem Bett nicht löscht, Oma bricht in Tränen aus und hört eine Stunde lang nicht mehr zu weinen auf. Krieg um Ressourcen: Der Streit um Fernseher, Computer und DVD -Player wird noch erbitterter als sonst ausgetragen, und die Tatsache, dass die Bauarbeiten an diesem Tag besonders laut vonstattengehen, trägt auch nicht wirklich dazu bei, die Atmosphäre zu verbessern. Aber die Erlösung naht, am späten Nachmittag prangt ein Zettel am Schwarzen Brett: Morgen 14.30 Uhr Versammlung für ALLE , heißt es da. Hugh, Häuptling Öder Onkel hat gesprochen!
Nun versucht euch mal, in Lius Lage zu versetzen, verlangt er bei der Versammlung von uns. Ihr habt jahrelang nichts ausgegeben, habt euch eingeschränkt, habt fast das gesamte Taschengeld gespart, um für die Zukunft vorzusorgen – und dann wird euch plötzlich das Geld gestohlen, die Zukunftsvorsorge ist weg, die Hoffnungen sind weg, die ganze Anstrengung war umsonst. Versucht euch das mal vorzustellen, auch wenn’s schwerfällt, weil Sparen für die meisten von euch ja ’n totales Fremdwort ist. Der Onkel macht eine Kunstpause, um nach diesem Seitenhieb zum nächsten Schlag auszuholen. Und wollt ihr wirklich, setzt er dann fort, dass es einem von euch so geht? Djamila schüttelt den Kopf, Kamal schüttelt den Kopf, die anderen sitzen reglos da, die meisten blicken zu Boden oder meiden jedenfalls den Blickkontakt mit dem Onkel. Nachdem also keiner von euch in diese Situation kommen möchte, verlange ich, dass Liu sein Geld zurückbekommt. Es geht uns nicht um Bestrafung, aber wer auch immer das Geld gestohlen hat, soll es zurückgeben, aus Fairness gegenüber Liu.
Der Herr hat gesprochen, nun schweiget er und wartet, auch Hans und Haluk und Zakia, sitzend zu seiner Rechten, schweigen still, selbst die Bauarbeiter scheinen eine Schweigeminute eingelegt zu haben. Über den Rand seiner rahmenlosen Brille hinweg blickt der Onkel von einem zum anderen. Hat uns niemand was zu sagen, fragt er nach einer endlos langen Minute. Wieder Schweigen. Gut, sagt der Onkel schließlich, dann werden wir eben jeden einzelnen Spind durchsuchen. Er steht auf, es wird plötzlich unruhig im Raum. Wir machen das nach dem Alphabet, sagt der Boss. Nino, du bist die Erste, sagt er nach einem kurzen Blick auf eine Liste, die vor ihm auf dem Tisch liegt, alle anderen warten hier mit Haluk und Hans. Alle Augen richten sich auf Rotkäppchen, sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen, dann macht sie ihn wieder zu. Wieso, fragt sie schließlich mit heiserer Stimme. Du heißt doch mit Nachnamen Bakuradze, oder? Ja, und, faucht sie ihn an und bleibt auf ihrem Platz sitzen. Nino, ich warte auf dich, beharrt der Onkel. Sie verdreht die Augen und steht auf. Scheiß-Nazis, schreit sie den vier Erwachsenen entgegen, dann folgt sie Zakia und dem Onkel.
Es wird wieder still, als sich die Tür hinter den dreien schließt. Ich lasse meinen Blick über die Gesichter meiner lieben Mitbewohnerinnen und der nicht ganz so lieben Mitbewohner schweifen. Es gibt gewisse Anzeichen von Nervosität, auf Adolphes Stirn stehen Schweißperlen, Tomo blickt rasch um sich, als erkunde er die Fluchtwege, Djamila wetzt auf ihrem Sessel hin und her. Wonns nix gstohlen hobt’s, donn
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