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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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wieder pfeilschnell hinab Richtung Orkus: Als Dessert bekommt er einen negativen Asylbescheid zweiter Instanz serviert, das Bundesasylverhinderungsamt wünscht Gesegneten Appetit.
    Wir alle sitzen heute in der Achterbahn, denn während für Liu die Alarmglocken läuten, gibt es anderswo Entwarnung: Nicoleta ist wieder da. Während Hans und Mira und der Onkel über Lius Zukunft grübeln, wird sie freudig begrüßt: Endlich du bist wieder da, freut sich Djamila. Hallo, Nicoleta, grüßt Tomo. Gibt keine Sonne, sagt er und deutet auf ihre dunkle Brille. Alles okay, sagt sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen, ist alles okay. Tatsächlich aber ist Nicoleta in der einen Woche ihrer Abwesenheit noch dünner und durchsichtiger geworden, und unter der billigen Brille blüht ein vielfarbiges Veilchen.
    Sie habe ihren Bruder getroffen, erzählt sie, er sei für eine Woche in Österreich gewesen, sie habe ihn schon Jahre nicht mehr gesehen, er sei der beste Bruder der Welt. Sie erzählt und erzählt, hastig, fahrig, nervös, sonst ist es die Mutter, von der sie so gerne berichtet, diesmal steht der Bruder im Mittelpunkt. Mein Bruder ist Businessmann, erzählt sie Djamila, ist sehr erfolgreich, verkauft Uhren. Er arbeitet für Bank, erzählt sie Afrim wenig später. Er verkauft Elektronik, erzählt sie Tomo beim Abendessen. Ich dachte, er arbeitet für eine Bank, werfe ich ein. Neinnein, von Bank kommt Geld, korrigiert sie mich rasch. Auch über das blaue Auge verstrickt sich Nicoleta bald in Widersprüche. Sie sei gestürzt, heißt es zuerst, ihr Bruder und sie wären überfallen worden, erzählt sie am nächsten Tag, sie sei gegen einen Pfosten gelaufen, lautet Version Nummer drei. Losst’s die Nicoleta in Ruah, sagt Hans, als Djamila sie auf die Widersprüche hinweist, doch es ist Nicoleta, die uns nicht in Ruhe lässt, denn sie erzählt wieder und wieder vom besten Bruder der Welt und von der Mutter, die dem Bruder einen Brief für sie mitgegeben habe. Da, sagt sie, während wir beim Abendessen sitzen, und hält triumphierend ein gelbes Kuvert in die Höhe, meine Mutter schreibt, dass sie vermisst mir. Die anderen essen schweigend weiter, Nicoleta lässt langsam den Arm heruntersinken und beginnt zu schluchzen.
    Ich will auch ein Brief von meine Mutter, sagt Djamila plötzlich. Und dann bricht auch bei ihr der Damm, der Tränenfluss lässt sich nicht mehr aufhalten und bahnt sich unerbittlich seinen Weg ins Wangental. Amal, die zwischen Djamila und Nicoleta sitzt, erwacht aus ihrer Lethargie und versucht, die kleine Schwester zu trösten, rund um mich müssen einige schlucken, ich sehe, wie sie hart kämpfen, um nicht auch in Tränen auszubrechen. Die starre Maske, hinter der sich manche zu ihrem eigenen Schutz verbergen, sie ist plötzlich verrutscht, und darunter kommen die verletzlichen Menschen zum Vorschein, die sie tatsächlich sind, halbe Kinder noch, Kinder fern von Heimat und Familie. Und ich, ich merke wieder einmal, dass ich so ganz anders als die anderen bin, und bekomme plötzlich rasende Kopfschmerzen.
    Des Nachts, ich verlasse gerade das Zimmer auf der Suche nach dem verlorenen Schlaf, zerreißt ein Schrei die nächtliche Stille. Er scheint aus der Küche zu kommen, und ich beschleunige meinen Schritt. Kurz bevor ich die Küchentür erreiche, kommt mir Gjergi entgegen. Was ist los, frage ich ihn. Er scheint etwas erwidern zu wollen, doch dann drängt er sich wortlos an mir vorbei und humpelt rasch zum Treppenhaus.
    Ich stoße die halb geöffnete Küchentür auf und werfe einen Blick in den großen Raum. Die beiden Tische sind leer, die Stühle stehen auf beiden Seiten in Reih und Glied, Kamal hatte Küchendienst, er nimmt das Putzen immer sehr ernst und macht seine Sache überaus ordentlich. Es ist niemand zu sehen, erst als ich die Mitte des Raumes erreiche, entdecke ich Nicoleta. Sie sitzt zusammengekauert auf dem Boden und blickt mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. Was ist los, frage ich sie auf Rumänisch. Sie antwortet nicht, ich merke, dass sie am ganzen Körper zittert. Hab’ keine Angst, versuche ich sie zu beruhigen, es ist alles okay.
    Wos is denn do los, höre ich plötzlich Hans’ Stimme hinter mir. Er tritt neben mich und hat Fabian, unseren Zivildiener, im Schlepptau. Wos host’n du geton, Ali, ruft er vorwurfsvoll aus. Einen Augenblick lang bin ich zu perplex, um zu antworten. Gar nichts, bringe ich schließlich hervor, ich hab’ gar nichts gemacht. Hans hockt sich vor Nicoleta hin,

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