Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
hat, läutet das Telefon. Komme gleich, sagt er und verlässt die Küche.
Mira sitzt vor dem Computer, als ich ins Büro trete. Ich habe seit Tagen nicht mit ihr gesprochen, auf das Lächeln, das mir die Verräterin schenkt, kann ich gerne verzichten. Wusstest du eigentlich, dass Lukas eine Beziehung mit Nino hat, schleudere ich ihr entgegen. Ach, ist das so, fragt sie mit demonstrativ gelangweilter Miene. Ich erzähle von Lukas’ Lüstlingsblicken, davon, dass ich die beiden gemeinsam auf der Straße gesehen habe. Nino hat immer wieder außer Haus übernachtet, füge ich hinzu, du brauchst nur zwei und zwei zusammenzuzählen. Mira ist davon nicht zu beeindrucken. Das macht vier, glaube ich, oder? Ich gebe auf, missmutig kehre ich ihr den Rücken zu. Und untersteh dich, dich in Zukunft noch einmal in meine Träume zu schleichen, murmle ich im Hinausgehen. Nie wieder, so viel steht fest, ich werde nie wieder auch nur ein einziges Wort mit dieser Frau sprechen!
Abends, es ist kurz vor elf, kurz vor der offiziellen Nachtruhe also, beuge ich mich aus dem Fenster. Wie erwartet, kauern vor den beiden Mädchenzimmern einige Schatten auf dem Gerüst, Tomo und Adolphe sind die Einzigen, die ich erkenne. Adolphe nimmt gerade einen Schluck aus einer Bierflasche, die Show hat begonnen, Show us your boobs, babe! Ach ja, die Jugendlichen und ihre Hormone … Unbeholfene Möchtegern-Frauenhelden beobachten Unbekleidete Mannstolle Fräuleins, doch beim Fensterln handelt es sich schließlich um eine gute alte alpenländische Tradition, finestrare oder fare la finestra, sagt der Montan-Italiener, fenétrer gehört für den alpinen Franzosen zum fixen Bestandteil des Vorspiels vor dem pénétrer, ist sozusagen das Um und Auf vor dem Rein und Raus, nur der Eidgenosse kann sich, so scheint es, für diese Art des Präludiums nicht erwärmen, vermutlich, weil durch das Aufstellen von Leitern zu viel Unordnung in den Gärten entstünde. Eine Studie der Luis-Trenker-Universität in Bozen hat jedenfalls erst kürzlich nachgewiesen, dass in Gebieten, in denen die Tradition des Fensterlns hochgehalten wird, die Schwangerschaftsrate signifikant höher liegt als in vergleichbaren Regionen.
Ich werfe noch einen letzten Blick auf meine Genossen, bevor ich zufrieden das Fenster schließe – und da sag’ noch einmal einer, die Ausländer wollen sich nicht integrieren in Österreich!
Zwei Tage später, Nicoleta ist noch immer irgendwo draußen in der weiten Wildnis, welche unsere wohlig-warme Welt umgibt, gibt es wieder einmal große Aufregung im Leo: Liu wurden seine gesamten Ersparnisse gestohlen, fast fünfhundert Euro, eine geradezu unvorstellbare Summe für die meisten meiner Mitbewohner. Zuerst glaubt ihm auch niemand. Wieso du hast so viel Geld, heißt es beim Mittagessen misstrauisch, Vielleicht er hat Drogen verkaufen, wird gemunkelt, schließlich glauben ihm die meisten aber doch: Liu, seit eineinhalb Jahren im Leo, verlässt das Haus nur selten, er besitzt kein Telefon, ist Nichtraucher und hat daher fast nichts von seinem Taschengeld ausgegeben, ich nehme an, er hat gespart, um bald eine größere Summe an seine Eltern überweisen zu können. Er habe das Geld in seinem Spind aufbewahrt, gestern Abend hätte er vergessen, den Spind abzusperren, so erzählt er geknickt, heute früh sei das Geld weg gewesen.
Liu teilt das Zimmer mit Tomo und Adolphe, Hans und der Onkel spielen good cop/bad cop, sie verhören die beiden und durchsuchen ihre Spinde, doch ohne Ergebnis. Liu selbst äußert keinen Verdacht, dazu ist er viel zu höflich, dafür gibt es bald von anderer Seite jede Menge Verdächtigungen und Schuldzuweisungen. Der Serbe und der Neger, sagt Afrim beim Abendessen hinter vorgehaltener Hand, die beide hat Geld geteilt – er meint Tomo und Adolphe, die am Nachbartisch sitzen. Rassist, schimpft Djamila, Trottel, erteilt die heilige Nino ihren Segen. Wie wäre es, wenn du das den beiden ins Gesicht sagst, schlage ich vor, worauf Afrim Unverständliches murmelt. Der Albaner, beschuldigt Tomo seinen Erzfeind Afrim später, er hat neue Telefon, neue Jacke, ganz klar. Dass Afrim die Jacke schon seit mehreren Tagen und das Telefon seit ungefähr zwei Wochen besitzt, scheint Tomo nicht weiter zu stören. Yaya wird verdächtigt, man habe ja gesehen, wie er sich auf Murad stürzte, ihm sei alles zuzutrauen, die Tschetschenen, heißt es dann, die stehlen sowieso alles, nicht nur Murad, es gebe ja auch unten bei den Erwachsenen eine ganze
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