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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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schön und doch nicht ohne Makel: Eine Hand schiebt sich von rechts ins Bild, eine Hand, die über Miras Hüfte streicht und von der Flanke aufwärts strebt zu den Brüsten und weiter zum Hals, um schließlich mit spielerischen Fingern bei ihren Lippen zu verweilen. Und diese Hand, und darin offenbart sich das Hässliche und Gottlose dieses Bildes, ist nicht die meine, es ist keine wohlgeformte, kräftige, sehnige, samtschwarze Mohrenhand, sondern die bleiche, teigige Möchtegernverführerhand von Lukas Liederlich Neuner, seines Zeichens Deutschlehrer an unserer Anstalt.
    Der Hand folgt ein bleicher, teigiger Möchtegernverführerkörper, der sich hinter Mira in Stellung bringt, ein bleicher, teigiger Möchtegernminiaturverführerpenis hängt schlapp zu Tal, wo er doch hoch erhobenen Hauptes seiner Göttin Tribut zollen sollte, doch dazu fehlt ihm das Rückgrat. Mira dreht sich zum Herrn Lehrer um, kehrt mir den Rücken zu, sie kichert, wahrscheinlich angesichts des bleichen, teigigen Möchtegernminiaturverführerpenisses, ihre schlanken Engelsfinger beginnen den bleichen, teigigen Möchtegernverführerkörper zu liebkosen, sein bleicher, teigiger Möchtegernminiaturverführerpenis regt sich, reckt sich, streckt sich, und es kommt, wie es kommen muss. Kommen Sie, Herr Lehrer, lädt Mira ihn mit weit geöffneten Beinen ein, und der Herr Lehrer kommt, nachdem er seinen bleichen, teigigen Möchtegernminiaturverführerpenis fünfmal in Miras Mitte versenkt hat.
    Wie ich das alles sehen kann? Man frage mich nicht, ich darf es nicht sagen. Ich bin Mira und ihrem lover boy gefolgt, als sie, Alenka im Schlepptau, gemeinsam ihren Arbeitsplatz verließen, Mutter und Tochter staksten im Partnerlook mit orange-grünen Plastikschuhen durch den Sommerabend, fehlte nur noch, dass auch der Lehrer als Dritter im Bunde dabei mittat. Man bummelte zu einem nahe gelegenen Kino-Center, Madagascar war der Film ihrer Wahl, nach einigem Zögern entschloss ich mich, mehr als ein Fünftel meines monatlichen Taschengeldes für eine Kinokarte auszugeben, um die drei in dem Freitagabendgetümmel nicht aus den Augen zu verlieren. Nach dem Kino steuerten sie zielstrebig ein Lokal an, ich wartete draußen, während sich Alenka und Lukas kalten Fisch auf Reisbällchen und Mira warmen Fisch ohne Reisbällchen servieren ließen, danach gab es noch Eis vom Italiener. Und dann wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. Zu dir oder zu mir, diese Frage stellte sich nicht, das Kind musste ja ins Bett gebracht werden, und so landeten die drei in Miras Wohnung mit mir als unsichtbarem vierten Rad am Wagen. Alenka wurde abserviert, Mira und Lukas observiert, doch ich bin nicht zum Vergnügen hier, o nein, ich tue nur meine Pflicht, ich erzähle, ich berichte, ich lege Zeugnis ab.
    Der Lehrer rollt sich zur Seite, sein Rohrstäbchen ist eingerollt, er stützt seinen Kopf auf die Hand und betrachtet Mira. Warum bezeichnest du dich eigentlich selber noch immer als Jugoslawin, will er plötzlich wissen. Sie erwidert seinen Blick nicht, sondern starrt zur Decke. Weil in meinem Kopf Jugoslawien noch immer existiert, antwortet sie ernst wie immer, wenn sie über ihre ehemalige Heimat spricht. Mein Vater kam aus Bosnien, meine Mutter war Kroatin mit mazedonischen Vorfahren, mein Ehemann ein Serbe, ich habe in Beograd, Zagreb und Sarajevo gelebt – was bin ich sonst, wenn nicht Jugoslawin? Des Lehrers Finger streichen durch Miras Haar. Es gibt einen schönen Text von Handke, sagt er, er macht darin nichts anderes, als zwei, drei Seiten lang die verschiedenen Kopfbedeckungen zu beschreiben, die an einer belebten Kreuzung irgendwo in Mazedonien zu sehen sind – Kopftücher, Hüte, Mützen, Kappen auf den Köpfen von Muslimen und Katholiken, von Orthodoxen und Juden, von alten Bäuerinnen und jungen Städtern. Das war in Sarajevo genauso, gibt Mira zurück, und ihr Blick geht wieder zur Decke, durchstößt sie und bohrt sich in den nächtlichen Himmel, um dort das Sarajevo vergangener Tage zu schauen. Der Nationalstaat ist wirklich eine der dümmsten Erfindungen der Geschichte, bricht es plötzlich aus ihr hervor, ich meine … ich verstehe einfach nicht, warum so viele Menschen nur mit denen zusammenleben wollen, die die gleiche Sprache sprechen, die gleiche Geschichte und die gleiche Hautfarbe haben wie sie selbst. Die Leute haben einfach Angst vor allem, was sie nicht kennen, meint der Lehrer. Das stimmt schon, kontert Mira, aber in Jugoslawien haben sich die Leute sehr gut

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