Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
er war nicht mit Salva befreundet, er kannte ihn kaum, trotzdem braucht er Dutzende Taschentücher, um seiner Tränen wieder Herr zu werden. Die Ministerin, deren Beamte so vorschriftsmäßig gehandelt haben, sieht keine Veranlassung, zum Begräbnis zu kommen, auch die anderen Regierungsmitglieder haben natürlich Wichtigeres zu tun, hier will dringend ein Band durchschnitten, dort eine Eröffnungsrede gehalten werden. Aus den Zeitungen erfährt man dann auch, dass die Staatsanwaltschaft Salvas Zellennachbarn als Zeugen befragen wollte, doch der wurde zwei Tage nach Salvas Tod nach Gambia abgeschoben. Die Abschiebung des betreffenden Asylwerbers war schon lange geplant und hat rein gar nichts mit dem Tod von Salva Minnawi zu tun, sagt ein Sprecher des Abschiebeministeriums, aber natürlich nicht, wer würde so etwas auch nur vermuten!
Ein Unglück kommt selten allein, und diesmal ereilt es Afrim. Neinnein, es ist nicht der Sensenmann, der gerade eben nach Salva gegriffen hat, doch mit einem Mal enthüllt sich das Geheimnis hinter Lederjacke, Telefon und anderen teuren Anschaffungen: Afrim wird von Haluk in der Nähe des Hauses beim Verkauf von Drogen erwischt. Geklärt sind damit auch die ständigen Anrufe, sein übliches: Ich komme gleich. Des Onkels erste Reaktion: Dir ist klar, dass wir nun die Polizei einschalten müssen. Ich kann Afrim aus meinem Versteck heraus zwar nicht sehen, doch man kann ihn erbleichen hören, nachdem er bis dahin die übliche Großmäuligkeit an den Tag gelegt hat. Aber … aber … war nur ganz wenig, was ich hab’ verkaufen, nur ein Mal, beginnt er zu stammeln, Geld war für mein Familie in Kosovo. Oder für Telefone und Lederjacken und MP 3-Player, wirft Haluk von links ein. Aber meiste für Familie, verteidigt sich Afrim. Ich dachte, es war nur ganz wenig, stößt der Onkel in die rechte Flanke, und so geht es eine Weile hin und her, der Onkel und Haluk nehmen Afrim in die Zange, wie ein Pingpongball fliegt ihr armes Opfer über den Tisch hin und her und her und hin. Dass du andere Menschen mit dem Rauschgift kaputt machst, das scheint dir egal zu sein. Neinnein, beeilt sich Afrim zu versichern, aber Flüchtling darf nicht arbeiten, wie soll ich Geld machen, wenn nicht kann arbeiten.
Es gibt eine kurze Pause. Bitte nicht, höre ich Afrim plötzlich flehen, bitte nicht Polizei! Anscheinend hat der Onkel zum Telefon gegriffen. Wir machen uns strafbar, wenn wir dich nicht anzeigen, sagt er. Du bringst das ganze Haus in Gefahr, assistiert Haluk. Du bestätigst genau die Vorurteile, die viele Österreicher über Asylwerber haben, sagt der Onkel. Afrim sinkt hörbar in sich zusammen. Er wird sein Leben dort fortsetzen, wo Salva das seine beendet hat, im Gefängnis nämlich. Die Aussicht auf Asyl ist damit zunichtegemacht, vom Gefängnis geht es dann wohl auf direktem Weg zurück in den Kosovo, zurück an den Start, die drei Damen singen Leb wohl, leb wohl, auf Wiedersehen, doch ein solches wird es nicht geben.
Tony stößt zu den dreien dazu, der Onkel lässt das Telefon scheinbar wieder sinken. Afrim wird noch eine Weile in die Mangel genommen und schließlich hinausgeschickt, ohne dass die Polizei eingeschaltet worden wäre. Der Onkel berät sich kurz mit den beiden Betreuern, sie vereinbaren eine Krisensitzung mit dem gesamten Team plus Helene Schlagnitweit für den nächsten Tag.
In den Fernsehnachrichten sind an diesem Abend nach längerer Zeit wieder einmal Bilder aus dem Kosovo zu sehen, fünfzehn erst kürzlich zurückgekehrte Serben und Roma seien bei einer Serie von Anschlägen in einer kleinen Stadt im Westen des Landes ums Leben gekommen. Der ganz normale tägliche Wahnsinn im Kosovo ist schon lange kein Thema mehr für die Medien, ein oder zwei Tote sind zu wenig, dafür schickt man keinen Berichterstatter vor Ort in den hintersten Kosovo, für fünfzehn sieht die Sache schon wieder anders aus. Selber schuld, wenn sie zurückkommen, grummelt Afrim auf Albanisch, Kosovo gehört den Albanern.
Leider bin ich am nächsten Tag bei der Sitzung nicht dabei. Man braucht mich im Deutschkurs, der soeben wieder begonnen hat, denn Lukas Neuner hat nur noch Mira im Junggesellenkopf. Ich muss ihm tatkräftig unter die Arme greifen, damit die Sache nicht ganz aus dem Ruder läuft, und so erfahre ich erst am Nachmittag von Afrim selbst das Ergebnis: Von einer Anzeige wird trotz des Risikos für das Haus und die Betreuer Abstand genommen, doch Afrim muss unsere Einrichtung verlassen, es
Weitere Kostenlose Bücher