Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Papiers an. Was machst du mit den schönen Porträts, frage ich ihn bestürzt, während gefräßige Zungen das Papier verzehren. Sie zerstören das Gesicht des Mädchens, lecken gierig an Yayas Hand, doch Yaya scheint keinen Schmerz zu spüren, lässt erst im allerletzten Augenblick den kläglichen Rest des Blattes fallen. Ich hab’ sie getötet, sagt er leise auf Krahn. Er bückt sich, um das nächste Blatt aufzuheben, doch da falle ich ihm sanft in den Arm. Aber hast du sie nicht in den Bildern wieder zum Leben erweckt? Ich hab’ sie getötet, wiederholt er unbeirrt und fasst nach dem nächsten Aquarell. Und jetzt willst du sie ein zweites Mal umbringen? Da hält Yaya inne, die Hand bleibt in der Luft, und ich nutze die Pause, um einzugreifen. Ich nehme Yaya das Feuerzeug aus der einen, das Bild aus der anderen Hand und ziehe ihn neben mir aufs Bett. Er lässt es mit sich geschehen, doch während ich beruhigend auf ihn einspreche, wiederholt er immer nur den einen Satz: Ich hab’ sie getötet, und er streicht dabei abwechselnd mit der einen und dann wieder mit der anderen Hand über sein Amulett. Willst du mehr darüber erzählen, frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf. Irgendwann beruhigt er sich, ich schlage vor, die Bilder in meinem Spind aufzubewahren, und bin erstaunt, als er tatsächlich einwilligt. Wann immer du sie zurückhaben oder ansehen möchtest, musst du es nur sagen, versichere ich ihm, und er nickt.
Zwar nehme ich Yayas Bilder in den nächsten Tagen immer wieder zur Hand, breite sie auf dem Bett aus und versuche, im Gesicht des Mädchens zu lesen wie in den Gesichtern meiner Mitbewohner, doch vergebens. Auch lasse ich Yaya selbst nicht aus den Augen, aber natürlich warten noch zahlreiche andere Aufgaben auf mich, die gelöst werden wollen. Zu den besonders dringenden gehört sicherlich der Fall Cubreacu.
Cu-bra-cu, Nicoleta, buchstäbelt der Administrant mühselig. Cubreacu, korrigiert Nicoleta ihn mit dünner Stimme, ja, hier. Baka … Buka … Bakuradze, unterbricht Nino den Mann ungeduldig, jaja. Nikolić, Tomislav, verliest er fehlerfrei und voller Enthusiasmus, sichtlich froh, endlich einen vertraut klingenden Namen auf der Liste zu haben. Ali Idaulambo ist mein Name, und ich bin auch hier, lasse ich ihn wissen, bevor er sich auch an meinen Buchstaben vergreifen kann.
Es sind zehn Jugendliche, die sich für den Berufsschnupperkurs angemeldet haben, die Hälfte von ihnen stammt aus unserem Haus, die andere Hälfte aus anderen Etablissements. Es gibt einen einleitenden Vortrag eines gewissen Dr. Wurst, nicht Hans, nein, Franz heißt die Kanaille, klobassenbraunes Sakko, korrekt gebundene rindszungenrosa Krawatte, der versucht, uns über Sinn und Zweck und Aufbau dieses Kurses zu informieren. Es ist für Asylwerber fast unmöglich, Arbeit zu finden, erklärt er, ich bedaure das, der Gesetzgeber sieht es leider so vor, aber hin und wieder schafft man es doch, für den einen oder anderen eine Stelle aufzutreiben. Damit Sie für diesen Fall gerüstet sind, damit Sie schon jetzt ein paar Erfahrungen sammeln können – dafür gibt es diesen Kurs. Außerdem ist davon auszugehen, dass zumindest einige von Ihnen tatsächlich Asyl bekommen werden, und dann steht Ihnen natürlich das Berufsspektrum in seiner ganzen wunderbaren Breite zur Verfügung. Die Berufe, mit denen Sie im Rahmen dieses Kurses konfrontiert werden, sind also zum Teil solche, denen Sie mit etwas Glück bereits jetzt nachgehen können, andere wiederum sind anerkannten Flüchtlingen vorbehalten. Hinzufügen möchte ich aber noch, dass sich die Gesetzeslage ab kommendem Jahr wahrscheinlich ändern wird, dass also die Zugangsbestimmungen für manche Berufsgruppen andere sein könnten. Applaus, Applaus, und Abtritt Dr. Wurst.
Der erste Beruf, den Dr. Wurst oder der Gesetzgeber oder vielleicht auch eine andere, möglicherweise noch höhere Macht für uns ausgewählt hat, ist der des Straßenkehrers, ein weiser Entschluss, gibt es doch überall auf der Welt zu bekehrende Straßen, zudem benötigt man weniger Sprach- und sonstige Vorkenntnisse als in vielen anderen Sparten, obwohl nicht verschwiegen werden soll, dass sich in den letzten Jahren auch immer mehr Akademiker frohen Herzens und freien Stückes für diese zukunftsträchtige Karriere entschieden haben. Die Tage eins bis drei sind den theoretisch-philosophischen Grundlagen des Straßenkehrens gewidmet; am vierten Tag, alles ist schon gespannt und freudig erregt, dürfen wir zum
Weitere Kostenlose Bücher