Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
sonst nicht macht Türe zu, sagt John. Versuch noch mal, ihn anzurufen, befiehlt die Generalin einem der beiden Betreuer. Der Befehl wird ausgeführt, und nach ein paar Sekunden hört man eine arabisch anmutende Melodie aus Manus Zimmer. Läutet ganze Tag, sagt John genervt, und auch Nacht. Scheiße, entfährt es der Generalin, Sir, yes, Sir, lautet die korrekte Antwort der beiden Offiziere, und als der Befehl zum Aufbrechen erteilt wird, stürzen sie sich mit Schraubenziehern bewaffnet der Tür entgegen. Wäre das Ganze zwei Wochen früher geschehen, so hätte man vom Baugerüst aus zumindest einen Blick in das Zimmer werfen können, doch das Gerüst wurde vor wenigen Tagen abgebaut. Das Schloss muss also dran glauben, und als es geknackt und geknickt ist und die Schöne Helena, John und die beiden Betreuer in Manus Zimmer treten, schleiche ich mich leise in den vorderen Raum. Ich weiß, die vier denken an einen ehemaligen Bewohner aus Äthiopien, der sich im vergangenen Jahr in seinem Zimmer erhängt hat, weil er das Warten nicht länger ertragen konnte.
Hilf mir mal, höre ich einen der beiden Betreuer zum anderen sagen. Ich schleiche mich näher an die Tür heran, sehe das leere, ungemachte Bett und das Fenster, doch die beiden Betreuer scheinen hinter der Tür zu Gange zu sein. Ich trete noch näher, doch da bin ich schon im Augenwinkel der Schönen Helena angelangt. Was machst du hier, bellt sie mich an. Je cherche Manu, mon Général, melde ich gehorsamst, und bevor sie mich fortschicken kann, bin ich schon in Manus Zimmer getreten. Die beiden Betreuer kommen gerade aus dem toten Gewinkel hinter der Tür hervor. Manu ist verschwunden, stellt einer der beiden mit kriminalistischem Scharfsinn fest und wischt sich die staubig gewordenen Hände an den Hosenbeinen ab, und bevor mir Frau Schlagnitweit-Manastiris in ihrer bekannt charmanten Art ebenfalls das Verschwinden nahelegt, entferne ich mich.
Wieder einmal sitze ich auf meinem Lieblingsplatz in der Astgabel des Affenbrotbaumes hinter dem Haus. Es ist Nachmittag, es ist still im Dorf, und trotzdem höre ich die Soldaten nicht kommen. Erst, als meine Mutter und meine Schwestern aufschreien, weiß ich, dass sie da sind. Eines Tages mussten sie ja auch zu uns kommen, ich wusste es, es war unvermeidlich. Ich springe vom Baum und laufe zum Eingang. Der groß gewachsene Soldat steht davor, das Gewehr in beiden Händen. Drinnen höre ich meine Mutter und meine Schwestern schreien, ich höre das Lachen der Soldaten. Ich verschwinde um die Ecke. Eines der Fenster an der Seite des Hauses gehört zur Küche. Ganz langsam richte ich mich auf, um durch das staubige, an zwei Stellen durchlöcherte Fliegengitter hindurchzuspähen. Nur zwei oder drei Meter von mir entfernt sehe ich zwei Soldaten, die meine ältere Schwester festhalten, ein dritter vergeht sich gerade an ihr, ein vierter versucht meine Mutter zu bändigen und ihre Schreie zu ersticken. Ich stehe wie gelähmt da, ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Vater und mein Bruder sind in die Stadt gefahren, die meisten Nachbarn sind auf den Feldern, ich kann nirgendwo Hilfe holen, allein kann ich nichts ausrichten gegen mehrere bewaffnete Männer. Plötzlich höre ich schwere Schritte, dann taucht der Soldat, der vorher vor dem Eingang stand, an der Ecke auf, er erblickt mich, ich will weglaufen, kann mich aber nicht bewegen, es fällt ein Schuss – – – und ich wache auf.
Du hast geschreit gestern Nacht, sagt Yaya am nächsten Morgen zu mir. Du musst dich irren, antworte ich ihm, ich schreie nicht im Schlaf, das hast du sicher nur geträumt.
Manu ist wieder da, erzählt mir Namuna zwei Tage später im Lift, als ich gerade auf dem Weg zum EDV -Kurs bin. Warum er fort war, weiß sie nicht, sie hat ihn selbst noch nicht gesehen, sondern nur durch John von seiner Rückkehr erfahren, doch Hauptsache, er ist wieder da und wohlauf. Wohlan, das sollte gefeiert werden, doch ich muss ja zum Kurs, nach dem Kurs vergesse ich Manu, fahre wieder in den letzten Stock, das Mittagessen ist ebenfalls zum Vergessen, und anschließend sorgt Yaya dafür, dass Manu auch für den Rest des Tages in oblivio verbleibt. Als ich nämlich nach dem Essen ins Zimmer trete, ist er gerade dabei, die fünf schönen Aquarelle, die seit dem sommerlichen Malkurs über seinem Bett hingen, von der Wand zu reißen. Eines nach dem anderen gleitet zu Boden, dann hebt er das erste auf, zieht ein Feuerzeug aus der Hosentasche und zündet eine Ecke des
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