Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
Vom Netzwerk:
Lehrer gerade. Was hab’ ich denn erzählt, fragt Mira mit hochgezogener Braue. Ich weiß es nicht, es war offensichtlich serbokroatisch. Glück gehabt, gibt sie schnippisch zurück, dann hast du also keine Geheimnisse von mir erfahren. Vielleicht doch – wer ist Mladko? Miras Gesichtsausdruck verändert sich mit einem Schlag. Es ist der Visier-runter-Zugbrücke-hoch-Reflex, den man so oft bei uns im Heim bei allzu aufdringlichen Fragen beobachten kann. Wieso, fragt sie gedehnt. Weil du den Namen drei Mal gerufen hast, antwortet der Lehrer.
    Mira, bis jetzt auf den Ellbogen gestützt und Lukas und mir zugewandt, lässt sich zurücksinken, sodass ihr Gesicht nur noch im Profil zu sehen ist. Auch bei Alenka hat der Name Mladko eine deutliche Reaktion ausgelöst, sie hat ihre Position verändert, um nur ja kein Wort zu versäumen. Mira wirft einen kurzen Blick zur Tür, als würde sie Alenkas Anwesenheit spüren. Mladko, so heißt mein Mann, sagt sie schließlich, so hieß mein Mann. Du weißt, er ist während des Krieges verschwunden. I am sorry, entschuldigt sich Lukas, ich wusste nicht …, stammelt er. Dann streckt er den Arm aus, will tröstend über ihre Wange streichen, doch sie weicht seiner Bewegung aus.
    Dieser idiotische Krieg, bricht es plötzlich aus Mira hervor, hätte es diesen blöden Krieg nicht gegeben, wäre ich heute noch in Sarajevo, und ich wäre wahrscheinlich immer noch mit Mladko verheiratet. Wir kannten uns, seit wir beide zwölf waren, mit sechzehn waren wir ein Paar, mit zwanzig haben wir geheiratet. Er war der einzige Mann in meinem Leben, wir haben alles gemeinsam gemacht, alles geteilt. Und dann kam dieser Krieg. Mladko wurde eingezogen und durfte nur selten nach Hause, irgendwann kam er gar nicht mehr. Ich fragte bei der Armee nach, und es hieß, dass er seit einem bestimmten Kampf in der Nähe von Bihać vermisst wurde. Und das war’s dann. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass er desertiert war und sich irgendwo versteckt hielt. Aber er tauchte auch nach dem Krieg nicht auf, und irgendwann hab’ ich die Hoffnung aufgegeben.
    Sie legt die Hand auf die Stirn, als könnte sie sich damit vor der Vergangenheit und auch vor Lukas’ Blick und Fragen schützen. Sie öffnet den Mund, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann schweigt sie. Meine Großmutter, lässt sich der Lehrer nach einer Weile vernehmen, hat mir oft erzählt, wie sie noch Jahre nach dem Ende des Krieges jeden Heimkehrerzug auf dem Bahnhof abpasste in der Hoffnung, dass ihr Mann eines Tages doch noch zurückkehren würde. Ich hab’ mir das immer furchtbar vorgestellt: jedes Mal die Hoffnung auf dem Weg zum Bahnhof, jedes Mal wieder die Enttäuschung, wenn sie allein nach Hause gehen musste. Mira nickt langsam, doch man merkt ihr an, dass des Lehrers Worte nicht wirklich bei ihr angekommen sind. Ich hatte viele Jahre lang immer den gleichen Traum, erzählt sie: Das Telefon läutet, meine Mutter ist am Apparat. Dein Mann ist tot, teilt sie mir mit ungerührter Stimme mit. Ich breche in Schluchzen aus, woher weiß meine Mutter, dass er gefallen ist, frage ich mich, wieso weiß ich das noch nicht? Wann kommst du zu uns zurück, fragt sie mich. Aber du bist doch selbst schon tot, und Papa auch, will ich sagen, doch ich bringe kein Wort heraus. Meine Mutter stellt immer wieder dieselbe Frage, bis ich irgendwann aufwache.
    Mira hört zu sprechen auf, dann dreht sie sich langsam zur Seite und blickt Lukas an. Herr Neuner fasst nach ihrer Hand und drückt einen zärtlichen Kuss darauf, sie lässt es geschehen. Und der Traum, den du vorgestern Nacht hattest, war das der gleiche? Keine Ahnung, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, sagt sie schroff. Dann wünschen die beiden einander Gute Nacht. Alenka wartet noch eine Weile, steht leise auf, rafft ihre Decke zusammen und schlurft vorsichtig davon.

13
    Manu ist auch am nächsten Tag nicht da. Seit vier Tagen hat ihn niemand gesehen, weder Nachbarn noch Betreuer, bei denen sich jeder Bewohner täglich melden sollte. Ich weiß nicht, wo ist er, sagt John, der mit ihm die Wohnung teilt, zur Schönen Helena. Sie steht mit zwei Betreuern im vorderen der beiden Räume, ich habe mich so auf dem Gang postiert, dass ich alles mitverfolgen kann, ohne gesehen zu werden. Der vordere Raum ist ein Durchgangszimmer, in dem sich Johns Bett, die Kochnische und ein Waschbecken befinden. Daneben liegt ein kleinerer Raum, der von Manu bewohnt wird. Die Tür zu diesem Raum ist versperrt. Manu

Weitere Kostenlose Bücher