Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
ersten Mal die schneidige orangefarbene Uniform des Straßenkehrers tragen, dürfen zum ersten Mal selbst den Besen zur Hand nehmen. Zwar hat jeder von uns schon in diversen Heimen Kehrerfahrung gesammelt, doch diesmal geht es nicht um den doch so eng begrenzten Raum eines Asylwerberheims, sondern um den unendlich größeren und vor Geschichte strotzenden öffentlichen Raum; diesmal handelt es sich nicht um einen gemeinen Hausbesen, sondern um ein Werkzeug, das ein aktives Eingreifen in die Geschichte erlaubt, ein kostbares Instrument der Selbstermächtigung also, und die paar Stunden, in denen wir eingreifen, vergehen wie im Sturzflug.
Auch am fünften Tag sollen wir die Freiheit der Straße genießen, sollen Seite an Seite mit erfahrenen Veteranen den ganzen Tag draußen verbringen dürfen, doch die Wettergöttinnen und -götter haben anderes mit uns im Sinn oder Unsinn: An diesem Tag, es ist der 14. Oktober, gibt es den ersten Schnee. Für Gloria und Anandu, zwei junge Afrikanerinnen, ist es der erste ihres Lebens, sie lachen wie Kinder, versuchen die Schneeflocken einzufangen und lassen sie auf der Zunge zergehen. Zwar bleiben die dicken Flocken nicht liegen, und das Gestöber geht schon bald in Dauerregen über, doch an ein Weitermachen ist unter solchen Bedingungen nicht zu denken; statt der Straße reinigen wir also unter fachkundiger Anleitung eines Praktikers – Na, net so, du Bleampl, hobt’s es bei eich daham kane Besen – die riesige Halle eines ehemaligen Schlachthofes. Heast Madl, iss was Gscheit’s, du bist ja dünner ois wia da Besen, gibt der erwähnte Praktiker Nicoleta, die ich die ganze Woche nicht aus den Augen ließ, mit auf den Lebensweg. Dann werden wir vor der Zeit entlassen, wenn auch nicht fristlos, denn nach dem Wochenende wartet ja schon das nächste fröhliche Berufsgeschnupper auf uns.
Ermittlungsmäßig war diese Woche, ich muss es gestehen, ein mäßiger Erfolg, es gibt kaum etwas Neues über den Fall Cubreacu zu berichten. Die einzige, wenig erfreuliche Neuigkeit: Als Nicoleta bei der Arbeit die Ärmel aufkrempelt, entdecke ich mehrere Schnittwunden an ihrem linken Unterarm, und mein Gefühl sagt mir, dass sie sich selbige vorsätzlich zugefügt hat.
Und eines Tages, Yaya hat sich gerade auf den Weg in Dr. Davidovychs Gummizelle gemacht, ich kann also in Ruhe seine Aquarelle studieren, eines Tages spricht das Mädchen auf den Bildern zu mir. Ich heiße Adjoua, beginnt sie endlich zu erzählen, die montags Geborene. Sie kommt aus Goualé, einem kleinen Dorf im Landesinneren von Côte d’Ivoire. Adjoua ist vierzehn, als der Krieg ausbricht. Worum es in diesem Krieg eigentlich geht, das weiß niemand so genau. Es gibt Rebellen, die gegen die Regierung kämpfen, es gibt Rebellen, die auf der Seite der Regierung gegen andere Rebellen kämpfen, und dann gibt es noch Soldaten mit blauen Helmen, die die anderen am Kämpfen hindern sollen. Goualé liegt genau mittendrin zwischen allen Fronten. Männer in verschiedenen Uniformen kommen von Zeit zu Zeit ins Dorf und rauben, was sie brauchen, Geld, Lebensmittel, Hühner, Ziegen, Kühe, manchmal nehmen sie auch junge Männer, Mädchen oder Frauen mit.
Yaya – als er jetzt ins Zimmer zurückkommt, ist auch sein Gesicht mit einem Mal ein offenes Buch für mich – gehört zu einer Rebellengruppe, die aufseiten der Regierung kämpft. Er ist zwölf oder dreizehn, so genau weiß er es selbst nicht, die Soldaten haben ihn ein paar Wochen zuvor in seinem Dorf rekrutiert. Sie haben dem Chief mit Waffengewalt gedroht, der ließ alle Burschen ab zehn Jahren auf dem Dorfplatz antreten. Sie boten Geld, es war nicht wenig Geld, zusätzlich zum Sold versprachen sie freie Verpflegung, ein verlockendes Angebot, auf das einige im Dorf eingingen. Aber selbst jene, die wie Yaya das Angebot ablehnten, wurden schließlich gegen ihren Willen im Morgengrauen aus den Betten gejagt, ein Vater, der gar zu eifrig seinen Sohn zu verteidigen versuchte, wurde erschossen.
Yaya wird mitgenommen in ein Lager bei einer ehemaligen Plantage. Die Uniform, die er bekommt, ist ein wenig zu groß, sie hat ein Loch in der rechten Brusttasche, dort, wo ein Vorgänger tödlich getroffen wurde. Sie drücken ihm eine Waffe in die Hand, sie lehren ihn, wie man sie auch im Dunkeln auseinandernimmt und wieder zusammensetzt, sie beschimpfen und schinden und schlagen ihn, sie bringen ihm bei, Befehle auszuführen und zu gehorchen und mit seiner Waffe auf Menschen zu schießen. Wenn
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