Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
nicht, nimmt mich nicht wahr, kümmert sich nicht um mich, ich werde mal mit dem Onkel ein ernstes Wort reden müssen. Sie hat nur Augen für den Lehrer, auch Alenka wird vernachlässigt, mutter- und vaterseelenallein muss das arme Kind durchs Leben gehen, während sich ihre Rabenmutter mit ihrem Lieblingslüstling verlustiert.
Ad Zakiam: Zakia geht es nicht gut. Verdacht auf Burnout, lautet Dr. Idaulambos Diagnose, doch Zakia will nicht hören auf ärztlichen Rat, wird also wohl oder übel übel fühlen müssen. Die Supervisionstante warnt, auch der Onkel versucht ihr ein Leisertreten nahezulegen, doch sie nimmt lautstark davon Abstand. Es gibt so viel zu tun, wer soll die Arbeit machen, antwortet sie den beiden. Sie hat recht, denn es gibt immer mehr als genug Arbeit im Haus, und sie hat unrecht, denn Entspannung wäre dringend vonnöten. Vielleicht, so mein Verdacht, verbringt sie aber auch deshalb so viel Zeit mit und bei und für uns, weil ihre langjährige Beziehung in eine Sackgasse geraten ist, weil sich der Kinderwunsch, mit dem sie jahrelang schwanger ging, nie erfüllt hat, weil sie sich zu Hause fremd und bei uns Fremden zu Hause fühlt.
Ad Adolphum et Amalum: Es ist wie Gefängnis, beklagt sich Adolphe nicht zum ersten Mal. Nein, widerspricht Tony, sein Betreuer, weil du kannst gehen, wenn es dir bei uns nicht gefällt. Adolphe wurde wieder einmal beim Trinken erwischt, wieder einmal wurde sein Alkoholvorrat beschlagnahmt, wieder einmal muss er die Moralpredigten des Betreuerteams über sich ergehen lassen. Alles ist verbotet, klagt Adolphe, wir sind kein freie Menschen. Auch unter freien Menschen muss es gewisse Regeln geben, kontert der Onkel, wenn dir die Regeln bei uns zu streng sind, dann musst du dir eben ’ne andere Bleibe suchen. Aber das wirst du ohnehin bald tun müssen, fügt er hinzu: In ein paar Monaten wird Adolphe nämlich – genauso wie Amal – offiziell achtzehn, dann muss er unsere geschützte Werkstätte verlassen. In Wirklichkeit und Wahrheit aber hat er, wie der Onkel und Tony und ich längst wissen, genauso wie Amal diesen achtzehnten Geburtstag schon seit geraumer Zeit hinter sich, in Wahrheit und Wirklichkeit sind sie beide zwanzig oder älter, beide haben sich dazu entschlossen, die Uhr ein wenig zurückzudrehen. Wir müssen langsam beginnen, einen Platz für dich zu suchen, sagt Tony, unten bei den Erwachsenen oder in einem anderen Heim.
Ad Muradem: Ein Onkel sei von der gefürchteten Miliz des tschetschenischen Präsidenten, den Kadirovtsy, entführt worden, erfährt Murad bei einem seiner seltenen und selten erfolgreichen Telefonate mit der Heimat, vor ein paar Tagen habe man seine Leiche aus einem Fluss gezogen. Ich weiß noch nicht, ob man Murad Glauben schenken oder auch nur leihen kann, doch er wirkt verstört und scheint ehrlich besorgt. Er möchte versuchen, seine Mutter und seine Schwester, die einzigen Familienmitglieder, die der jahrelange Bürgerkrieg seinen Angaben zufolge am Leben gelassen hat, nach Österreich zu bringen. Um Allah für seine Sache gnädig zu stimmen, hält sich Murad noch strenger als sonst an das Fastengebot für den Ramadan.
Ad Kamalum: Kamal ist wieder einmal der Ärmste, Kamal stürzt wieder einmal ab, diesmal nicht im buchstäblichen, sondern im übertragenen Sinne. Die Verletzungen, die er davonträgt, sind in diesem Fall nicht physischer, sondern psychischer Natur: Nino hat ihn verlassen. Nach drei Monaten wurde es Zeit für Frischfleisch, mit wölfischem Appetit begab sich Rotkäppchen auf die Jagd und fand, nachdem sich Anandyn Tserendorj als unbrauchbar erwies, das nächste Opfer im Schnupperkurs. Ninos Neuer heißt Nahum, was so viel wie Tröster bedeutet, obwohl eigentlich nicht Nino, sondern Kamal des Trostes bedürfte. Die vergangenen drei Monate haben ihm gutgetan, ein bisschen von Rotkäppchens Geist und Witz und Chuzpe haben in dieser Zeit auf ihn abgefärbt, bei der Trennung hat sie jedoch, und das ist ihr gutes Recht, die in die Beziehung eingebrachten geistigen Güter wieder eingefordert und an sich genommen, und Al-Kamál, der arme Tor, er ist so klug als wie zuvor. Aber es musste ja so kommen, denn wer sich mit Rotkäppchen einlässt, geht unweigerlich vor die Wölfe … Und trotzdem dauert mich Kamal, der, aus rosa Wattewolken gefallen, mit dumpfem Schafsblick nun nichts als graue Eintönigkeit zu sehen meint. Ich bringe mich um, sagt er, ein kleiner Geist, der große Worte kreißt. Blödsinn, schreibt Djaafar, der
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