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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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sich mir entgegen, die Zeitungen gehen weg wie des Kaisers warme Semmeln. So macht man das, mein lieber Vetter, rufe ich dem staunenden Ali zu, und schon um sechs Uhr morgens kommt es zum Stau, weil die Autofahrer auch bei Grün noch vor der Kreuzung stehen, um ja ein Exemplar zu ergattern. Fahren Sie schnell nach Hause zu ihren Liebsten, warne ich eine besorgt dreinblickende Hausfrau, Sie wissen schon, wegen der Bombe! Sie gibt Gas, obwohl das SUV -Schlachtschiff vor ihr noch nicht Segel gesetzt hat, es scheppert ein wenig, doch nicht sehr, es ist nur eine kleine Delle, der Spengler ihres Vertrauens wird von der Reparatur keine zwei Wochen leben können.
    Es beginnt zu regnen, es wird kälter, der Wind weht durchs Wiental, doch ich trotze der Natur. Ich rufe weiter die Schlagzeilen aus, Ausländerkriminalität explodiert, Jeder zweite Asylwerber kriminell, Asylwerber läuft Amok, Nigerianischer Drogenring gesprengt, ich tanze zwischen den Autos, ich tanze auf den Autos, ich tanze Yankadi, Bamboula und Nightclub Two Step, auch Nino und Nicoleta und Tomo und Anandyn und die anderen tanzen mit. Ich bin ein schwarzer Neger, ich bin nicht sehr integer, warne ich einen Autofahrer, ich bin zum Schein nur Asylant, das ist der Zeitung auch bekannt, beichte ich einem Autopfarrer, ich bin ein Ausländer, ich hab’ ’nen Dauerständer, raune ich einer Beifahrerin ins feine Klunkerohr, ich riech’ nach Elefantendung und sorge jetzt für Umvolkung, schreie ich in die Welt hinaus, ich bin ein schlimmer Flüchteling, ich arbeit’ für ’nen Drogenring, so muss ich zugeben. Es gibt ein bisschen Stau, es gibt ein bisschen Panik, es gibt ein paar kleinere Auffahrunfälle, doch es ist nichts Ernstes, und bald löst sich alles wieder in Wohlgefallen auf.
    Diesmal wird allerdings keine Rücksicht auf unsere Gesundheit genommen, trotz Regen und Kälte bleiben wir bis Dienstschluss, wir verabschieden uns gegen halb elf von Ali, er fährt nach Hause für vier Stunden Schlaf, wir fahren nach Hause für vier Stunden Schlaf, und es folgen zwei weitere Tage auf den Straßen dieser schönen Stadt. Nur Nicoleta ist nicht mehr dabei, Nicoleta ist die Kälte nicht gut bekommen, zum Ausgleich ist ihre Körpertemperatur nun so hoch wie unser lieber Hans Pogatschnigg alt ist, nämlich neununddreißig. Auch mein Namensvetter Ali bekommt Fieber, seine Abwehrkräfte sind geschwächt, da er wegen des Ramadans tagsüber fastet, trotzdem muss er am nächsten Tag arbeiten. Ali ist sechsundvierzig Jahre alt, Ali sieht aus wie sechzig, doch so alt wird er wahrscheinlich nie werden.
    In der Woche darauf lernen wir nach einer erneuten Begegnung mit Herrn DJ Herrn Yussuf kennen, der den Beruf des Hauszustellers ausübt. Ausländische Hauszusteller sorgen dafür, dass die Österreicherinnen und Österreicher, ohne selbst das Haus verlassen zu müssen, schon beim Frühstücksei oder -brei wissen, dass die Multikultigesellschaft eine Zeitbombe ist, exklusiv und explosiv und bumm! Yussuf führt uns treppauf, treppab, von Tür zu Tür, liftauf, liftab, von dort nach hier, die Stadt schläft, während Yussuf arbeitet, um zwei Uhr morgens müssen die Zeitungen abgeholt werden, spätestens um sechs müssen sie vor den Türen liegen. Wenn Redaktion oder Druckerei länger brauchen und die Zeitung später ausgeliefert wird, dann muss Yussuf umso schneller sein, denn wenn er sie nach sechs Uhr verteilt, dann gibt es Ärger und weniger Geld, also nimmt Yussuf, obwohl auch er wegen des Ramadans geschwächt ist, lieber zwei Stufen auf einmal, und wir mit ihm. Für uns endet das Gerenne nach ein paar Tagen, Yussuf wird noch viele Jahre weiterlaufen und Stufe um Stufe erklimmen bis zu dem Tag, an dem er umfallen wird in irgendeinem Treppenhaus in Ottakring oder Favoriten, und die Zeitung, die er all die Jahre zu den Menschen gebracht hat, wird darüber kein Wort verlieren.
    Zwar sind meine Augen und Ohren überall, doch vom Leben im Heim bekommen sie wenig mit in diesen Wochen, in denen uns das heitere Berufsgeschnupper in die verschiedenen Stadtteile Wiens verschlägt. Nur sporadisch kann ich nach dem Rechten und auch dem Linken sehen, in aller Eile muss ich den Stand der Dinge erfassen und neue Entwicklungen zu Protokoll bringen, um nicht die Übersicht zu verlieren in diesem Tollhaus.
    Ad Miram: Mira bekomme ich kaum zu Gesicht, wahrscheinlich hat sie ihre Dienste absichtlich so eingeteilt, dass sie hier ist, wenn ich nicht da bin. Wenn ich sie sehe, dann sieht sie mich

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