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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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sich rührend des kleinen afghanischen Bruders annimmt und ihn zu trösten versucht, auf seinen Notizblock, es gibt noch viele andere Mädchen auf der Welt! Kamal schüttelt den Kopf. Es gibt nur die eine, soll die Bewegung sagen, und er will auch nichts hören oder lesen vom baldigen Verblassen der Erinnerung, das Djaafar ihm prophezeit. Er isst nichts, er geht nicht in den Deutschkurs, er wäscht sich nicht. Kamal, du stinkst, sagt Haluk, und ich muss ihm leider recht geben, und eines Tages wird Abu-Bakr al Kamal von Mira dabei erwischt, wie er sich, es hat ihn wirklich schwer erwischt, mit verzücktem Gesichtsausdruck in Ninos leerem Bett wälzt.
    Zwar wird Kamal rundum bedauert, doch bei manchen hält sich das Mitgefühl in Grenzen. Mir persönlich ist es einerlei, in wessen Bett Fräulein Bakuradze sich tummelt, ich bin, wie man weiß, über solche Dinge erhaben. Tomo, der seine Eifersucht auf Kamal nur schlecht verhehlen konnte, ist nicht unglücklich, dass er nun nicht mehr tagtäglich das Geturtel der beiden miterleben muss, denn Ninos neue Beziehung spielt sich ja nun außerhalb des Hauses ab. Murad, oberster Sittenwächter im Hause, dankt Allah, dass er in seiner unendlichen Weisheit und Gerechtigkeit diese schändliche Verbindung endlich gelöst hat, was Nino außerhalb seines Gesichtskreises treibt, scheint ihn weniger zu interessieren. Auch unsere Wärter sind froh, dass der heimliche hausinterne Verkehr nun nicht mehr für Hormonstau bei den anderen Jugendlichen sorgt, doch sie freuen sich zu früh: Ninos Leben spielt sich nämlich nun fast zur Gänze außer Haus ab. Wir sind kein Hotel, kommt bald wieder, so der unvermeidliche Spruch des Onkels, zweimal pro Woche vorbeizuschauen ist zu wenig, du musst dir überlegen, ob hier bei uns der richtige Platz für dich ist oder nicht.
    Miscellanea: Bei Familie Dolas ist das nächste Kind unterwegs. Während das eine noch an Halima Dolasens Busen hängt, wölbt das nächste ihr schon den Bauch, statt drei Tage pro Woche geht sie jetzt nur noch zwei Tage arbeiten und wird bald ganz aufhören, Herr Dolas ist darüber gar nicht unglücklich. Hier werden künftige Steuerzahler in die Welt gesetzt, doch Österreich weiß mit diesem Beitrag nichts anzufangen, Österreich scheint diese Steuern nicht zu wollen, zumindest hat Gülertan Dolas einen negativen Asylbescheid zweiter Instanz zugestellt bekommen, mithilfe seiner Betreuer wirft er nun den letzten Rettungsanker aus und legt Beschwerde gegen den Bescheid ein.
    Bei Gjergi gibt es keinen Nachwuchs, nicht nur, weil Gjergi Frau oder Geliebte fehlen, sondern auch, weil sein Körper durch jahrelangen Schlafentzug geschwächt und frühzeitig gealtert ist. Er hat seinen Beitrag schon geleistet, in früheren, glücklicheren Jahren, doch die einzige Tochter, die ihm und seiner Frau beschieden war, sie schläft längst mit der Mutter im Wolkengrab, nur Gjergi schläft nicht, er streift auch nicht mehr durchs Haus, nur noch selten jedenfalls, er liegt die meiste Zeit im Bett und starrt mit weit geöffneten Augen an die Decke. Komm, gehen wir spazieren, sage ich zu ihm, als ich auf dem Weg zu Pitra bei ihm anklopfe, doch er schüttelt den Kopf. Bin zu müde, sagt er. Schon mehrmals haben seine Betreuer versucht, ihn zu einer Therapie zu überreden, doch vergebens. Er lebt nicht hier bei uns im Haus, sagt Pitra. Wie meinst du das, frage ich, doch sie wiederholt nur das Gesagte. Den Stock hat er neben sich im Bett liegen, als müsse er sich auch im Liegen darauf stützen. Wahrscheinlich unternimmt er die langen Wanderungen durchs Haus nun in seinen Tagträumen, vielleicht lebt er nur noch in diesen Träumen, vielleicht ist es das, was Pitra meint.
    Ich jedenfalls nehme seine Träume und die der anderen mit in mein Zimmer, in meine Träume, und auch am nächsten Tag, als wir wieder gemeinsam mit Yussuf Zeitungen austragen, verfolgen sie mich und lassen mir keine Ruhe.

15
    Der November wirft den Oktober aus dem Kalender, der Ramadan geht mit dem sehnsüchtigst erwarteten Zuckerfest zu Ende, die vierte Woche unseres Schnupperkurses bricht an. Wieder sollen wir einen der raren Berufe kennenlernen, die Asylwerbern zumindest nach der derzeitigen Gesetzeslage offenstehen, diesmal ist es das älteste Gewerbe der Welt, gerne auch das horizontale genannt – der Staat, der Asylwerbern kaum Arbeitsmöglichkeiten bietet, räumt Asylwerberinnen nämlich großzügigerweise die Freiheit ein, die Freier in diesem Land zu beglücken. Da wir im

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