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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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sind die zwei wichtigsten Märkte für uns –, aber wir sind natürlich gerne bereit, uns hin und wieder auch auf dem österreichischen Markt zu bedienen. Der Medienmann gießt ein wohlwollendes Lächeln über die zehnköpfige Jungschar, die Jungschar antwortet mit mehr oder weniger interessierten Blicken. Die heilige Nino macht ihm schöne Augen, doch er scheint keine Notiz davon zu nehmen, worauf sie mit ihrem Nachbarn Anandyn zu turteln beginnt. Der eifersüchtige Tomo versucht daraufhin, Ninos Aufmerksamkeit zu erregen, doch vergebens. Prinzipiell gibt es bei uns Arbeit in zwei Bereichen, fährt DJ fort, einerseits in der Hauszustellung, andererseits im Straßenverkauf. Diese Woche wollen wir uns dem Straßenverkauf widmen, deshalb habe ich Ali mitgebracht, einen unserer erfahrensten Verkäufer. Ein gönnerhaftes Schulterklopfen für Ali, ein kleines bisschen Rampenlicht für Ali, Applaus, Applaus für Ali, dann steht wieder da Didschei im Mittelpunkt des Geschehens. Unsere Welt ist eine Medienwelt, predigt er, se medium is se message, verkündet er, es ist aufregend, mittendrin zu sein und die Nachrichten zum Menschen zu bringen, schürt er unsere Begeisterung. Nicht wahr, Ali, heißt es alle paar Minuten, Gell, Ali, Stimmt’s, Ali, und Ali knipst das Lächeln an und nickt so geflissentlich, dass ihm beinahe der Turban vom Kopf rutscht. Yes, Mista Didschei!
    Mit Ali gehen wir nach einem Tag Theorie auch auf die Straße. Sein Arbeitstag beginnt kurz vor fünf Uhr früh mit der Zeitungsausgabe, wir warten mit ihm und anderen halb schlafenden Verkäufern an diesem kalten Oktobermorgen, die Zeitungen werden wie so oft verspätet ausgeliefert. Ali fährt mit dem Fahrrad zu seinem Standplatz an einer belebten Kreuzung in Meidling, wir werden mit einem Kleinbus hingekarrt. Und dann stehen wir auf der Straße und schauen Ali beim Arbeiten auf die Finger, mit Ausnahme von Nicoleta, Nicoleta sieht nämlich lieber den Kunden des Würstelstandes gegenüber beim Essen zu.
    Eine Minute und fünf Sekunden dauert die Rotphase. Rot ist gut, Rot bedeutet Geschäft, Rot heißt aus dem Fenster gestreckte Arme, Rot verspricht metallisches Klingeln in der Jackentasche. Manchmal bleibt Letzteres aus, manchmal schnappt sich die Hand die Zeitung, der Fuß gibt Gas, der Mund verzieht sich zu einem triumphierenden Grinsen, das Ali aus dem Rückspiegel grüßt.
    Der Verkehr verdichtet sich, wird zum Stau, Stau ist noch besser fürs Geschäft, bei Stau muss sich Ali nicht so hetzen. Nach neun löst sich der Stau zu seinem Leidwesen wieder auf, um zehn Uhr packt Ali seine Sachen und schwingt sich aufs Fahrrad. Er fährt nach Hause, sein Zuhause ist ein Zimmer mit vier Stockbetten, acht Männer aus Indien und Pakistan teilen sich das Zimmer, eine schmutzige Küche, eine desolate Dusche und eine Toilette auf dem Gang. Auch wir fahren nach Hause, Zuhause ist ein Zimmer mit zwei oder drei oder vier Betten, dort werden die nächsten Stunden verbracht, bevor wir um fünf Uhr nachmittags wieder mit Ali zusammentreffen, um die Abendschicht bis halb elf mitzuerleben.
    Die Nacht ist kurz. Am nächsten Tag sind wir wieder um fünf Uhr früh bei der Zeitungsausgabe dabei, diesmal allerdings nicht nur als Zuschauer, diesmal dürfen wir auch mitmischen. Wir tragen die gleichen gelb-roten Jacken wie Ali, wir atmen dieselbe bleigeschwängerte Luft, wir leiden unter derselben Kälte, wir tanzen wie er zwischen den Autos herum. Der einzige Unterschied: Wir dürfen erst dann auf die Fahrbahn, wenn die Autos zum Stehen gekommen sind und müssen zurück auf den Gehsteig, bevor sie sich wieder in Bewegung setzen. Und so hopsen also zehn jugendliche und ein erwachsener Nicht-Österreicher zwischen tausend österreichischen Autos umher und verkaufen eine Zeitung, deren greiser Chef, wie jeder weiß, tagtäglich ein kleines, gut mariniertes Türkenkind zum Frühstück verspeist, während ein Dutzend erwachsener Fremdlinge in die Papierarena getrieben und dort vor einem ungeduldig wartenden Millionenpublikum von eigens abgerichteten Hyänen zerfleischt wird. Für Nino muss eine georgische Einbrecherbande in den Sand beißen, für Nicoleta vier moldawische Schlepper, Tomo ist ein Aufmacher über serbische Trickbetrüger gewidmet, uns allen eine Schlagzeile über die Zeitbombe Multikultigesellschaft. Kaufen Sie, solange Sie noch können, lesen Sie, bevor es zu spät ist, preise ich lautstark die Zeitung an, die Bombe tickt, rufe ich, das Ende naht! Die Hände recken

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