Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Anweisungen von dem Mann, der hier der Chef zu sein scheint. Eine Frau ist dabei, der Chef nennt sie Bianca, drei Männer lungern herum, keiner davon wirkt vertrauenerweckend. Sie sollen sich unter die Leute mischen und nett zu den männlichen Gästen sein, erklärt der Chef auf Russisch, sie sollen sich auf möglichst teure Getränke einladen lassen und alles tun, was man von ihnen verlangt. Wenn einer der Männer mit ihnen allein sein möchte, dann sollen sie sich von Bianca einen Zimmerschlüssel holen, hundertfünfzig Euro seien im Voraus an Bianca zu bezahlen, der Anteil der Mädchen würde auf ein für sie eingerichtetes Konto gehen. Was die Preise für Extras betraf, sollten sie sich ebenfalls an Bianca wenden, die wüsste über alles Bescheid. Nicoleta versteht nicht wirklich, wovon er spricht, und als Timea mit dünner Stimme einwendet, dass sie doch als Kellnerinnen arbeiten sollten, beginnt der Chef plötzlich zu brüllen. Bianca und die drei Männer hören schweigend zu, doch auf ein Zeichen ihres Chefs stürzen sich die Männer auf die Mädchen, zuerst gibt es Prügel, dann geschieht den beiden das, was ihnen in den kommenden Monaten noch Hunderte Male von Hunderten Männern angetan werden würde.
Die Illusion ist dahin, und es dauert noch einige Tage, bis den Mädchen klar wird, dass sie auch nicht im ersehnten Italien, sondern in Niš in Serbien gelandet sind. Die Männer, die um die insgesamt fünf Mädchen oder Frauen mit ihrer Brieftasche freien, kommen aus der Stadt und der näheren und weiteren Umgebung, es sind Geschäftsleute und leitende Angestellte, höhere Polizei- und Zollbeamte, Lokalpolitiker und -prominenz, Offiziere und Unteroffiziere aus einer nahe gelegenen Kaserne, manchmal auch Fernfahrer aus den unterschiedlichsten Ländern. Manche von ihnen sind Junggesellen, die meisten jedoch Familienväter, gesprochen wird Russisch, Englisch oder eine Art Balkan-Esperanto.
Das Konto, von dem die Rede war, gibt es nicht. Und wer, glaubst du, hat eure Reise bezahlt, eure Papiere, die Fahrer, die Übernachtungen, wer übernimmt das Risiko, brüllt der Chef, als Nicoleta ihn darauf anspricht, wer zahlt hier für Unterkunft und Essen und Arbeitskleidung? Das muss alles erst einmal beglichen werden, dann reden wir weiter.
Vom ersten Tag an denkt Nicoleta an Flucht, jede der jungen Frauen denkt daran. Tanja und Irina, die schon seit einigen Monaten hier sind, haben es versucht, beide sind nicht weit gekommen, die Leibwächter des Chefs haben sie halb totgeprügelt. Nicoleta weiß, dass der Chef alle Reisepässe im Tresor aufbewahrt; als sie ihn einmal darauf anspricht, wird sie einfach ausgelacht. Trotz der Warnung von Zsuzsa, der Ältesten, wendet sie sich eines Tages an einen Polizeibeamten, der mit ihr aufs Zimmer geht. Sei still, befiehlt er ihr, als sie von ihrem Leid zu erzählen beginnt. Als sie weiterspricht und ihn anfleht, schlägt er sie so heftig ins Gesicht, dass ihre Nase zu bluten beginnt und lange nicht aufhört. Eine halbe Stunde später holt der Chef sie zu sich und verprügelt sie persönlich.
Das Spiel wiederholt sich mit einem Geschäftsmann, der ihr sympathisch erscheint, es wiederholt sich mit dem Vizebürgermeister, der ihr verspricht, etwas für sie zu tun, aber gleich anschließend den Chef informiert. Eines Tages kommt ein junger Fotograf ins Haus, an drei Tagen hintereinander fotografiert er die Mädchen in den verschiedensten Positionen, allein, zu zweit, zu dritt, mit männlichen oder weiblichen Partnern, er ist ruhig, er ist höflich, trotz Angst vor weiterer Prügel fleht Nicoleta ihn in einem unbeobachteten Moment um Hilfe an. Er müsse nachdenken, sagt er, und er tut es vielleicht auch, doch dem Denken folgt kein Handeln, Nicoleta hört nie wieder von ihm.
Und dann taucht eines Tages Kurt auf. Kurt ist Fernfahrer aus Oberösterreich, er ist mit fünfundzwanzig Tonnen Textilien unterwegs von Istanbul nach Wien. Kurt feiert an diesem Tag seinen dreiundvierzigsten Geburtstag, seine Frau und seine Mutter und zwei Freunde haben ihm schon gratuliert, er war bisher schnell unterwegs, zur Belohnung gönnt er sich nun eine Pause. Nach dem Essen und einem kurzen Abstecher an die Bar verschwindet er mit Zsuzsa im ersten Stock, er kennt sie bereits von einem früheren Aufenthalt, sie ist genauso alt wie er. Als er bald darauf mit zufriedenem Gesichtsausdruck wieder an die Bar tritt, ist Nicoletas Augenblick gekommen. Sie hat zuvor ein paar Worte mit ihm gewechselt, Worte in
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