Momo
gerissen. Und Momo war nicht da.
Beppo biß sich auf die Lippen und unterdrückte ein heiseres Aufschluchzen, das ihm für einen Augenblick die Brust zerreißen wollte.
„Mein Gott“, murmelte er, „o mein Gott, sie haben sie schon weggeholt. Mein kleines Mädchen haben sie schon weggeholt. Ich bin zu spät gekommen. Was soll ich denn jetzt machen? Was mach' ich denn jetzt nur?“ Dann verbrannte ihm das Streichholz die Finger, er warf es weg und stand im Finstern.
So rasch er konnte, kletterte er wieder ins Freie und humpelte auf seinem verstauchten Fuß zu seinem Fahrrad. Er schwang sich hinauf und strampelte los.
„Gigi muß 'ran!“ sagte er immer wieder vor sich hin. „Jetzt muß Gigi 'ran! Hoffentlich find' ich den Schuppen, wo er schläft.“ Beppo wußte, daß Gigi sich seit kurzem ein paar zusätzliche Pfennige verdiente, indem er jeden Sonntag nachts im Werkzeugschuppen einer kleinen Autoausschlachterei schlief. Dort sollte er aufpassen, daß nicht wieder, wie früher schon öfter, noch brauchbare Autoteile abhanden kamen.
Als Beppo den Schuppen endlich erreicht hatte und mit der Faust gegen die Tür hämmerte, hielt Gigi sich zunächst mucksmäuschenstill, für den Fall, daß es sich um die Autoteil-Diebe handeln sollte. Aber dann erkannte er Beppos Stimme und machte auf.
„Was ist denn los?“ jammerte er erschrocken. „Ich kann es nicht leiden, wenn man mich so brutal aus dem Schlaf reißt.“
„Momo!…“ stieß Beppo hervor, der nach Atem rang, „Momo ist irgendwas Schreckliches passiert!“
„Was sagst du?“ fragte Gigi und setzte sich fassungslos auf seine Liegestatt. „Momo? Was ist denn geschehen?“
„Ich weiß es selbst noch nicht“, keuchte Beppo, „was Schlimmes.“ Und nun erzählte er alles, was er erlebt hatte: vom Hochgericht auf der Müllhalde, von den Reifenspuren um die Ruine, und daß Momo nicht mehr da war. Es dauerte natürlich eine Weile, bis er alles vorgebracht hatte, denn trotz aller Angst und Sorge um Momo konnte er nun einmal nicht schneller reden.
„Ich hab's von Anfang an geahnt“, schloß er seinen Bericht. „Ich hab' gewußt, daß es nicht gutgehen würde. Jetzt haben sie sich gerächt. Sie haben Momo entführt! O Gott, Gigi, wir müssen ihr helfen! Aber wie? Aber wie?“
Während Beppos Worten war langsam alle Farbe aus Gigis Gesicht gewichen. Ihm war, als sei ihm plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Bis zu diesem Augenblick war alles für ihn ein großes Spiel gewesen. Er hatte es so ernst genommen, wie er jedes Spiel und jede Geschichte nahm – ohne dabei je an Folgen zu denken. Zum ersten Mal in seinem Leben ging eine Geschichte ohne ihn weiter, machte sich selbständig, und alle Phantasie der Welt konnte sie nicht rückgängig machen! Er fühlte sich wie gelähmt.
„Weißt du, Beppo“, begann er nach einer Weile, „es könnte ja auch sein, daß Momo einfach ein bißchen spazierengegangen ist. Das tut sie doch manchmal. Einmal ist sie sogar schon drei Tage und Nächte im Land herumgestrolcht. Ich meine, bis jetzt haben wir vielleicht noch gar keinen Grund, uns solche Sorgen zu machen.“
„Und die Reifenspuren?“ fragte Beppo aufgebracht. „Und die herausgerissene Matratze?“
„Na ja“, gab Gigi ausweichend zur Antwort, „nehmen wir mal an, es wäre wirklich irgendwer da gewesen. Wer sagt dir denn, daß er Momo gefunden hat? Vielleicht war sie schon vorher weg. Sonst wäre doch nicht alles durchgesucht und umgewühlt.“
„Wenn sie sie aber doch gefunden haben?“ schrie Beppo, „was dann?“ Er packte den jüngeren Freund an den Jackenaufschlägen und schüttelte ihn. „Gigi, sei kein Narr! Die grauen Herren sind Wirklichkeit! Wir müssen irgendwas tun, und zwar sofort!“
„Beruhige dich doch, Beppo“, stotterte Gigi erschrocken. „Natürlich werden wir etwas unternehmen. Aber das muß gut überlegt sein. Wir wissen ja noch nicht mal, wo wir Momo überhaupt suchen sollen.“ Beppo ließ Gigi los. „Ich geh' zur Polizei!“ stieß er hervor.
„Sei doch vernünftig!“ rief Gigi entsetzt. „Das kannst du doch nicht machen! Nimm mal an, die gehen los und finden unsere Momo wirklich. Weißt du, was die dann mit ihr machen? Weißt du das, Beppo? Weißt du, wo streunende elternlose Kinder hinkommen? In so ein Heim stecken sie sie, wo Gitter an den Fenstern sind! Das willst du unserer Momo antun?“
„Nein“, murmelte Beppo und starrte ratlos vor sich hin, „das will ich nicht. Aber wenn sie doch vielleicht in Not
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