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Momo

Momo

Titel: Momo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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fragte Momo erfreut.
„Alle“, antwortete Meister Hora, „und Wort für Wort!“
„Leider“, meinte Momo, „hat sie sonst niemand gelesen, scheint's.“
Meister Hora nickte bedauernd. „Ja, leider. Dafür haben die grauen Herren gesorgt.“
„Kennst du sie gut?“ forschte Momo.
Wieder nickte Meister Hora und seufzte: „Ich kenne sie, und sie kennen mich.“
Momo wußte nicht recht, was sie von dieser merkwürdigen Antwort halten sollte. „Warst du schon oft bei ihnen?“
„Nein, noch nie. Ich verlasse das Nirgend-Haus niemals.“
„Aber die grauen Herren, ich meine – besuchen sie dich manchmal?“
Meister Hora lächelte. „Keine Sorge, kleine Momo. Hier herein können sie nicht kommen. Selbst wenn sie den Weg bis zur Niemals-Gasse wüßten. Aber sie wissen ihn nicht.“
Momo dachte eine Weile nach. Die Erklärung Meister Horas beruhigte sie zwar, aber sie wollte gern etwas mehr über ihn erfahren. „Woher weißt du das eigentlich alles“, begann sie wieder, „das mit unseren Plakaten und den grauen Herren?“
„Ich beobachte sie ständig und alles was mit ihnen zusammenhängt“, erklärte Meister Hora. „So habe ich eben auch dich und deine Freunde beobachtet.“
„Aber du gehst doch nie aus dem Haus?“
„Das ist auch nicht notwendig“, sagte Meister Hora und wurde dabei wieder zusehends jünger, „ich habe doch meine Allsicht-Brille.“ Er nahm seine kleine goldene Brille ab und reichte sie Momo. „Willst du einmal durchgucken?“
Momo setzte sie auf, blinzelte, schielte und sagte: „Ich kann überhaupt nichts erkennen.“
Denn sie sah nur einen Wirbel von lauter verschwommenen Farben, Lichtern und Schatten. Es wurde ihr geradezu schwindelig davon.
„Ja“, hörte sie Meister Horas Stimme, „das geht einem am Anfang so. Es ist nicht ganz einfach, mit der Allsicht-Brille zu sehen. Aber du wirst dich gleich dran gewöhnen.“
Er stand auf, trat hinter Momos Stuhl und legte beide Hände sacht an die Bügel der Brille auf Momos Nase. Sofort wurde das Bild klar. Momo sah zuerst die Gruppe der grauen Herren mit den drei Autos am Rand jenes Stadtteils mit dem seltsamen Licht. Sie waren gerade dabei, ihre Wagen zurückzuschieben.
Dann blickte sie weiter hinaus und sah andere Gruppen in den Straßen der Stadt, die aufgeregt gestikulierend miteinander redeten und sich eine Botschaft zuzurufen schienen.
„Sie reden von dir“, erklärte Meister Hora, „sie können nicht begreifen, daß du ihnen entkommen bist.“
„Warum sehen sie eigentlich so grau im Gesicht aus?“ wollte Momo wissen, während sie weiterguckte.
„Weil sie von etwas Totem ihr Dasein fristen“, antwortete Meister Hora. „Du weißt ja, daß sie von der Lebenszeit der Menschen existieren. Aber diese Zeit stirbt buchstäblich, wenn sie von ihrem wahren Eigentümer losgerissen wird. Denn jeder Mensch hat seine Zeit. Und nur so lang sie wirklich die seine ist, bleibt sie lebendig.“
„Dann sind die grauen Herren also gar keine Menschen?“
„Nein, sie haben nur Menschengestalt angenommen.“
„Aber was sind sie dann?“
„In Wirklichkeit sind sie nichts.“
„Und wo kommen sie her?“
„Sie entstehen, weil die Menschen ihnen die Möglichkeit geben, zu entstehen. Das genügt schon, damit es geschieht. Und nun geben die Menschen ihnen auch noch die Möglichkeit, sie zu beherrschen. Und auch das genügt, damit es geschehen kann.“
„Und wenn sie keine Zeit mehr stehlen könnten?“
„Dann müßten sie ins Nichts zurück, aus dem sie gekommen sind.“
Meister Hora nahm Momo die Brille ab und steckte sie ein. „Aber leider“, fuhr er nach einer Weile fort, „haben sie schon viele Helfershelfer unter den Menschen. Das ist das Schlimme.“
„Ich“, sagte Momo entschlossen, „laß' mir meine Zeit von niemand wegnehmen!“
„Ich will es hoffen“, antwortete Meister Hora. „Komm, Momo, ich will dir meine Sammlung zeigen.“ Jetzt sah er plötzlich wieder wie ein alter Mann aus. Er nahm Momo bei der Hand und führte sie in den großen Saal hinaus. Dort zeigte er ihr diese und jene Uhr, ließ Spielwerke laufen, führte ihr Weltzeituhren und Planetarien vor und wurde angesichts der Freude, die sein kleiner Gast an all den wunderlichen Dingen hatte, allmählich wieder jünger.
„Löst du eigentlich gern Rätsel?“ fragte er beiläufig, während sie weitergingen.
„O ja, sehr gern!“ antwortete Momo. „Weißt du eines?“
„Ja“, sagte Meister Hora und blickte Momo lächelnd an, „aber es ist sehr schwer. Die

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